Der Pate von Bombay
wußte, daß ich sterben, daß ich getötet werden würde. Für mich gab es kein Entkommen. Ich hatte keine Zukunft, kein langes Leben, keinen Ruhestand, kein entspanntes Alter vor mir. Mir dergleichen auszumalen war Feigheit. Vorher würde mich eine Kugel treffen. Aber bis dahin würde ich wie ein König leben. Ich würde das Leben, dieses Miststück, das uns zum Tode verurteilt, niederringen, würde es mir einverleiben, es ausschöpfen bis zum letzten, Minute um Minute. Und so ging ich durch die Straßen wie der Herr der Menschheit, flankiert von meinen Jungs.
Auf diese Weise erhielt ich meine Herrschaft, meine Vormacht aufrecht. Angst spielte dabei eine Rolle, die Angst der Ladeninhaber bei meinem Anblick, die Angst in den Augen der Frauen, die in der Tür zurücktraten, um uns vorbeizulassen. Doch das war nicht alles, beileibe nicht. Es hat natürlich etwas Berauschendes, Macht auszuüben, aber es vermittelt auch ein Gefühl der Sicherheit, sich ihr zu beugen. Glauben Sie mir, das ist so. Ich spürte es, wenn sie mir Chicken Tikka und Bhakri servierten und mich fragten, ob ich ein Erfrischungsgetränk oder einen Tee haben wollte, ich sah es in ihren sich weitenden Pupillen, wenn sie ihren besten Stuhl für mich heranzogen und ihn mit ihrem Pallu abstaubten. Die Wahrheit ist, daß die Menschen sich gern beherrschen lassen. Sie reden ständig über Freiheit, aber sie haben Angst davor. Unter meiner Gewalt waren sie sicher und zufrieden. Die Angst vor mir lehrte sie, wo sie leben konnten, sie schuf einen Zaun, innerhalb dessen sie zu Hause waren. Und ich war gut zu ihnen. Ich war fair und forderte ihnen nur so viel Geld ab, daß es sie nicht schmerzte, ich hielt meine Jungs zur Zurückhaltung an, und vor allem war ich großzügig. Einem Fabrikarbeiter brach ein umkippender Ladekarren das Bein, und ich unterstützte für ein halbes Jahr seine Familie; eine Großmutter benötigte eine Operation zur Erweiterung ihrer Venen und Rettung ihres Herzens, und ich schenkte ihr Leben, die Möglichkeit, mit den Kindern ihrer Kinder zu spielen. »Ganesh-bhai«, sagte eines Nachmittags ein Drucker zu mir, »lassen Sie mich eine richtig professionelle Geschäftskarte für Sie machen.« Aber ich brauchte keine Karte. Mein Name war in meinem Raj hinreichend bekannt.
An jenem Abend, nach meinem Gespräch mit Bipin Bhonsle und meinem täglichen Rundgang, begab ich mich zu Paritosh Shah. Seine älteste Tochter, die erste von vieren, sollte in sieben Tagen heiraten. Das Haus funkelte schon unter Lichterkaskaden in Rot, Blau und Grün, die über drei Stockwerke fröhlich vor sich hin blinkten. Es war ein großes Haus, das er und seine beiden Brüder erst vor einem Jahr fertiggestellt hatten und in dem sie alle zusammen wohnten, mit ihren Frauen, Cousins und Cousinen und zahllosen Onkeln auf Besuch, ein quirliger gujaratischer Kreis von Menschen. Dandia Raas, den althergebrachten Stocktanz, vor einer Hochzeit zu veranstalten, war eindeutig passe, aber bei all seinen geschäftlichen Innovationen war Paritosh Shah doch ein gestandener Traditionalist. Also tummelten sich aufgeregte Grüppchen junger Mädchen im Hof, ein Gewirbel betörender Seide. Man wartete darauf, daß ich den Tanz eröffnete, und sobald ich in einem Armsessel Platz genommen hatte, stellten sich die Männer und Frauen in vier Kreisen auf, die Kinder in den inneren beiden, und der Sänger erhob deklamatorisch eine Hand und begann: »Radha game ke game Mira« 509 , die Kreise drehten sich langsam, dann schneller, und in dem stetigen Händeklatschen setzte sich der fröhliche Rhythmus fort. Als die Stöcke für den Tanz hervorgeholt wurden, stand ich auf und bat ebenfalls um ein Paar. Sie lachten, als sie mich unbeholfen herumstolpern sahen, außerstande, innerhalb der sich gegeneinander bewegenden Kreise den Takt zu halten, in den klackenden Rhythmus zu finden. Ich glaube, zunächst lag das auch an den anderen Tänzern, vor allem den Männern, die sich nicht trauten, mit mir zu tanzen, und durch meine Gegenwart ihre Anmut verloren. Sie zögerten, ihre Dandias gegen meine zu schlagen, hatten Angst, zuviel Kraft hineinzulegen, zuckten vor meinen Schlägen zurück. Doch als sie sahen, daß ich über mich selbst lachte und daß meine Jungs - die an den Säulen lehnten - lächelnd den Kopf schüttelten, entspannten sich alle. Der Disco-Dandia-Song kobolzte vergnügt weiter, ich wurde lockerer in den Hüften, in den Schultern gelöst, ich war im Fluß, bewegte mich mühelos im
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