Der Pate von Bombay
Garküchen am Straßenrand Chicken Tandoori, denn der Dushman führte im Punjab vielfältige Operationen durch, es war ihm Sammelplatz, Zufluchtsort, problemloser Zugang nach Indien. Und so ist Bloody Mathur verschwunden. K. D. treibt daraufhin seine Leute an, verlangt Hintergrundinformationen über Komplizen Harbhajan Singhs, Listen von Bankkonten. Er manövriert mit Männern und Mitteln, denn sie befinden sich im Krieg, in einer Schlacht. K. D. wehrt sich. Er ist nicht bereit zu vergessen. Und so wird auf den Straßen und Feldern von Punjab das große Spiel gespielt.
Das Spiel dauert an, es ist ein ewiges Spiel, es kann nicht beendet werden, es bringt sich selbst hervor. K. D. spielt es, und er spielt es gut. Er hat ein hervorragendes Gedächtnis und einen ausgeprägten Sinn für Details: Eine Lesebrille mit dunklen Gläsern, die er auf einem verwackelten Foto von ein paar Predigern in Frankfurt sieht, bleibt ihm sechs Jahre lang in Erinnerung, so daß er denselben Mann auf einem weiteren, am anderen Ende der Welt aufgenommenen Foto wiedererkennt: einem Bild, auf dem Befehlshaber der Taliban von einem Treffen mit einem Major des ISI in Peshawar kommen. Solchen Meisterleistungen der Kombination und Identifikation verdankt K. D. seinen Ruf, seinen Ruhm, seinen Platz in der Organisation. Er steigt auf. Er ist jetzt Assistant Commissioner, zwar noch nachgeordnet, aber ein Mann mit Zukunft. Er bleibt in Bewegung. Vier Jahre, dann folgt ein neuer Posten, diesmal in Berlin. In der geteilten Stadt vergibt er Visa an iranische Studenten und besorgt ihnen Stipendien, umarmt mitfühlend afghanische Ärzte und lädt sie zum Essen ein. Er schickt Päckchen an Anjali, die im Eiltempo ihre Schulzeit absolviert, durch Doppelversetzungen und unglaubliche Ergebnisse bei Abschlußprüfungen ganze Schulklassen überrundet. Sie liest über Berlin, bittet um Hitler-Biographien, die sie in Delhi nicht finden kann, und um Bücher über Generale, deren Namen so vollmundig sind wie rosa Frühstückswürstchen.
»Der Patient weist großflächige Läsionen im Stirnlappen auf.« Dr. Kharas steht über K. D. gebeugt, von einer Schar aufmerksamer Medizinalassistenten umringt. »Die Auswirkungen des Glioms sind interessant. Es sind Zustände von reduplizierender Amnesie zu beobachten, während deren der Patient innerlich ganz woanders ist. Normalerweise wähnen sich Patienten mit dieser Art von Amnesie zu Hause oder an einem Ort, den sie mögen. Dieser Patient allerdings scheint sich in seiner Vorstellung an Orte zu begeben, an denen er irgendwann in seinem Leben einmal war, alle möglichen Orte auf der ganzen Welt.«
Das liegt daran, holde Dr. Anaita, daß ich nie ein Zuhause hatte. Mein Zuhause war ein Ort in meiner Vorstellung, ein schönes, wohlhabendes Land, das es nicht gibt. Dorthin war ich auf all meinen Reisen unterwegs, in dieses friedliche Land der Zukunft.
»Was bei Patienten mit dieser Art von Erinnerungsschwäche ebenfalls häufig auftritt, ist Konfabulation. Das bedeutet, daß sie auf Fragen über eigene Erfahrungen falsche Antworten geben. Selbst Fragen nach banalen Dingen, etwa nach Einzelheiten ihrer früheren Arbeit, Daten, Orten, bringen Antworten hervor, die kohärent erscheinen, aber phantasiert sind. Die Patienten beschreiben unglaubliche abenteuerliche oder grausige Geschichten. Mr. Yadav? Mr. Yadav?«
Dr. Anaita möchte ihren Studenten Symptome vorführen. K. D. nickt. Sie soll sie bekommen, sie soll bekommen, was immer sie will. Er steht in ihrer Schuld - wegen ihrer leidenschaftlichen Neugier, ihrer Kompetenz, ihrer Begeisterung für ihre Arbeit und weil sie ihm Hoffnung gibt. Nicht die Hoffnung, er könne überleben, sondern die Hoffnung, er könne ein gutes Leben geführt haben, all die häßlichen Dinge, die er getan hat, könnten letztlich etwas Gutes bewirken. Sie ist seine Hoffnung.
»Mr. Yadav, können Sie mir Ihr Geburtsdatum nennen?«
Er kann sich nicht erinnern. Egal, er darf sie nicht enttäuschen. Er greift ein Datum aus der Luft. »Der 9. Juli 1968«, sagt er. Ein Raunen geht durch die Runde der Assistenten, ihre Augen leuchten auf. Sie mögen Symptome, Symptome demonstrieren die inneren Abläufe des defekten Apparats. Gemäß einer inversen, aber makellosen Logik sagt eine Anomalität im Organismus etwas über sein normales Funktionieren aus. K. D. wird klar, daß 1968 für sein Geburtsjahr viel zu spät ist, er ist bedeutend älter. Aber was war am 9. Juli? Das Datum ist rauh, kratzig, bleibt in
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