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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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über Indien läuft, über Delhi und Bombay in die Türkei, nach Europa und in die USA. Der ISI und die Generale bereichern sich an diesem Handel und kaufen Waffen und Mudjaheddin ein. Die Kriminellen sorgen für die logistische Abwicklung, sie schaffen Männer, Geld und Waffen über die Grenzen. Die Politiker wiederum sorgen für den Schutz der Kriminellen und sichern sich damit ihre nötige finanzielle und physische Schlagkraft. So läuft es. Die Organisation des Dushman rekrutiert einen illoyalen indischen Kriminellen, Suleiman Isa, damit er in seiner Heimat Bomben legt, und macht ihn so zu einem Hauptakteur in diesem endlosen Krieg. Um gegen ihren Kriminellen anzukommen, brauchen wir einen eigenen Kriminellen. Stahl schneidet Stahl. Kriminelle besitzen wertvolle Informationen über ihre Rivalen. Es ist notwendig, einen Deal mit Gaitonde zu machen, der Zweck heiligt die Mittel. Also sitzt Gaitonde nun in einem weißen T-Shirt, weißen Pajamas und blauen Badeschlappen im Büro des Gefängnisdirektors. K. D. versucht sich in die Situation zurückzuversetzen, sie nachzuerleben. Vielleicht findet er in den Details eine Erklärung für die drei Sadhus. Er schließt die Augen, versucht in diesen Nachmittag hineinzugleiten, in das Zimmer mit den Regalen voll schwarzer Aktenordner und dem schwarz gerahmten Bild von Nehru. K. D.s Atem geht kurz und stoßweise, er weiß nicht, warum. Hör schon auf. Beruhige dich. Beruhige dich, sonst fügst du dir nur weiteren Schaden zu. Denk nach. Warum drei Sadhus? K. D. hat mit Religion nichts am Hut, und er hat Gaitondes Frömmigkeit immer für die Krücke eines Mannes gehalten, der eine fürchterliche, unablässige Angst vor Mördern hat. Selbst harte Männer können dem Tod in seiner Nacktheit nicht ins Auge sehen, der irreversiblen Durchtrennung des dünnen Bewußtseinsfadens. Ein Schnitt, und es ist aus. Vorbei. Das ist unerträglich, und deshalb erging sich selbst Gaitonde, dieses blutbefleckte Monster, in Phantasien von einem Leben nach dem Tod.
    »Ja, das ist Daddys Schrift«, sagt Anjalis Mutter zu ihr. Anjali hat einen alten Universitätstext gefunden, der einst ihrem Vater gehörte, einen Text über altindische Geschichte, und deutet begeistert auf die blauen handschriftlichen Anmerkungen am Rand, die Unterstreichungen. Bloody Mathur ist jetzt schon fast ein Jahr verschwunden, aber im Leben seiner Tochter erscheint er täglich, spielt gerade wegen seines Nichtdaseins eine um so größere Rolle, er ist der romantisch-mysteriöse abwesende Vater. Man hat ihr gesagt, er sei »für eine Weile verreist«, sei »unterwegs«. Innerhalb der Organisation ist die vorherrschende Ansicht, daß er von ebenden militanten Sikhs gefangengenommen wurde, die er anzuwerben versuchte, daß er in einen Hinterhalt gelockt, gefoltert und umgebracht wurde. Eine kleine Minderheit glaubt, er sei übergelaufen, habe den Hinterhalt selbst inszeniert. Jedenfalls erwartet ihn niemand zurück außer Anjali, der man gesagt hat, er sei auf Reisen. K. D. findet diese Lüge verwerflich, denn er sieht die Erwartung in Anjalis Augen, wann immer das Telefon klingelt, sieht die Sehnsucht in ihrem x-beinigen Spurt an die Tür, wenn der Briefträger draußen mit dem Tor klappert. Aber sie ist erst elf Jahre alt, und ihre Mutter glaubt, mehr als daß ihr Vater weggegangen ist, könne sie verstandes- und gefühlsmäßig nicht verkraften. K. D. weiß, daß Kinder Tag für Tag fürchterlichen Schrecken ausgesetzt sind, daß sie Greuel durchleben, vor denen die Älteren die Augen verschließen. Und was könnte schlimmer sein als diese Erwartung, dieses Verlangen? Aber er hat hier nichts zu sagen. Er muß sehr vorsichtig sein. Rekha schenkt ihm Tee ein. Sie gewährt dem gerade aus London zurückgekehrten Freund ihres verstorbenen Mannes förmliche Gastfreundschaft, K. D. weiß, daß keine Wärme, keine Zuneigung darin mitschwingen. Sie war immer höflich, aber reserviert, höchstwahrscheinlich verbirgt sich unter ihren guten Manieren der harte Panzer des Kastenbewußtseins. Wenn er etwas Falsches sagt, riskiert er, verbannt, für immer von Anjali fortgeschickt zu werden. Und diese Verbannung würde er nicht aushalten. Sie wäre unerträglich. K. D. hat keine Bindungen auf dieser Welt. Papa und Ma sind tot, und mit seinen Verwandten in Bihar hat er nur selten Kontakt. Er hat niemanden. Bei Bloody Mathur war er stets willkommen, und so konnte er zusehen, wie Anjali vom Säugling zum Mädchen heranwuchs. Sie ist ein Teil

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