Der Pate von Bombay
seines Lebens. K. D. weiß, daß dieses kleine Wesen von Bloody Mathur und Rekha abstammt, aber irgendwie ist sie auch seine Tochter. Irgendwie ist er Vater geworden. Er hat keine Autorität, doch er ist voller Liebe. Er begreift, daß dieses kleine Mädchen im blauen Schulrock sein Anker in der Welt ist. Mit ihrem langen Blick hält sie ihn zusammen. Er weiß nicht, wie oder wann es dazu gekommen ist, aber er weiß, daß es so ist. Sie lehnt sich an sein Knie und hält die englische Puppe hoch, die er ihr aus London mitgebracht hat.
»Sie redet nicht mehr, Onkel.«
Die Puppe hat blaue Augen und flachsblondes Haar, zu einem Lächeln gekräuselte Erdbeerlippen und eine blecherne Stimme. K. D. dreht die Puppe um und bemerkt, daß die Abdeckung unter dem rosafarbenen Kleid nicht richtig sitzt. Er hebt sie mit dem Fingernagel an und sieht, daß die Drähte um die Batterie gewickelt sind und ein grüner Chip lose ist. »Was hast du denn gemacht?« fragt er.
»Ich wollte sehen, wie sie funktioniert«, sagt Anjali.
K. D. lacht, von Liebe erfüllt, einem absoluten, bedingungslosen Gefühl bar all der Vorbehalte, die er bei jeder anderen Interaktion in seinem Leben spürt. Sie kichert. »Ich bin sowieso zu alt für Puppen, Onkel, damit spiele ich schon lange nicht mehr. Du kennst dich mit Mädchen nicht besonders gut aus. Ich lese lieber.« Sie lachen zusammen, steigern sich in Lachsalven hinein, die nur langsam verebben. Anjalis Mutter sieht ihnen mit wachsendem Mißtrauen zu. Zumindest in diesem Moment ist K. D. das egal, und er trägt Anjalis Wärme mit in den nächsten Tag, ins Büro, wo er sich dem islamischen Fundamentalismus widmet. In einer separaten, fensterlosen Kabine sammelt er Berichte aus aller Welt, kombiniert, stellt Verbindungen her, siebt, analysiert. Die Überzeugungen und Haßgefühle von Männern und Frauen erreichen ihn als Fragmente, und er fügt die Mosaiksteine zusammen. Dann schreibt er seine eigenen Berichte, läßt sie auf steifem weißem Reispapier abtippen, und über sie gelangen die Informationen nach oben, zum Additional Commissioner, zum Commissioner, womöglich sogar bis zum Premierminister. Informationen gehen nach oben, und Befehle kommen zurück. Es werden Maßnahmen ergriffen, die Resultate und Kaskaden neuer Informationen hervorbringen. K. D. hat immer das Gefühl, am Knotenpunkt eines Netzes zu sitzen, an der Schnittstelle weltumspannender Energieströme, die summen, an- und abschwellen, ihre Form verändern. Er kann hier eine Saite in Schwingung versetzen, und zwanzigtausend Kilometer weiter sackt ein Mann in einem Hauseingang in sich zusammen. Er kann einen Absatz schreiben und ihn zwei Wochen später, paraphrasiert, in einer Rede des Innenministers wiederentdecken. In diesem staubigen Raum löst er Ketten von Ereignissen aus, verändert das Leben von Millionen von Menschen.
Doch die Männer, die Bloody Mathur umgebracht haben, kann er nicht finden. Er hat einen dicken Aktenordner mit Polizeiberichten sowie mit Einschätzungen, die von den Ermittlungsteams der Organisation vor Ort erstellt wurden. Die Fakten hegen klar auf dem Tisch: Bloody Mathur hatte einen gewissen Harbhajan Singh umworben, Sohn eines Kleinbauern, nach einem zweijährigen Collegestudium arbeitslos, zweimal wegen Bagatelldiebstählen festgenommen. Harbhajan Singh hatte Kontakte zu einer militanten Gruppe, der Punjab Liberation Army, und Bloody Mathur hatte monatelang Geld in Harbhajan Singh investiert, der wiederum Geld an einen zu den Militanten übergelaufenen engen Freund gezahlt hatte. Es waren solide Informationen zurückgekommen, verifizierbares Material, das aber nicht sonderlich nützlich war. Schließlich bat der Informant in der PLA um ein persönliches Treffen, zu dem er einen weiteren illoyalen Freund mitbringen wollte. Bloody Mathur hatte so eine Ahnung, fuhr hin, und plötzlich war er verschwunden. Er hinterließ einen umgekippten, demolierten Ambassador und drei Tote. Dann verliert sich die Spur. Bloody Mathur ist von der Bildfläche verschwunden. Ende, aus.
Aber K. D. nimmt das nicht hin, er weigert sich, die Dinge auf sich beruhen zu lassen. Er beschattet Harbhajan Singhs Familie, beschattet seine Freunde, macht Deals. Bloody Mathur hatte immer gesagt: »Wenn es nicht Geld ist, dann ist es Sex. Und wenn nicht Sex, dann ist es Sicherheit, die Angst um die eigene Familie. Jeder Mann ist käuflich. Man muß nur herauszufinden, zu welchem Preis.« Also aß Bloody Mathur mit Harbhajan Singh in
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