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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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unbewegten Wasseroberfläche. Über ihnen zieht ein eleganter Raubvogel langsam enge Kreise, hat nur die äußersten Federn an den Flügelspitzen ein wenig nach unten gebogen. K. D. registriert den goldbraunen Bauch, das Weiß von Brust und Kopf - ein Brahminenweih. Er kennt diesen Vogel, kennt diesen Tag. Bald werden sie Schüsse hören. In der Dämmerung wird Palash ihn zu einer Hütte am Ausgang des Dorfes Ramtola geleiten, in der ein junger Mann namens Chunder Ghosh die Nacht verbringt. Chunder Ghosh wird behaupten, er heiße Swapan, aber K. D. hat Fotos von der Jadavpur University gesehen und Bilder, die auf Geburtstagsfeiern in der Kadell Road entstanden sind, er wird ihn wiedererkennen. Den pausbäckigen Jungen von damals gibt es nicht mehr, aber dieser hagere Revolutionär, der im Schneidersitz vor ihm sitzt, ist eindeutig Chunder Ghosh. Ghosh wird K. D. viele Fragen stellen, seine Legende abklopfen, die solide und stimmig ist: K. D. ist Sanjeev Jha, ein kleiner Jutehändler und Naxaliten-Sympathisant 450 , der möglicherweise Informationen über größere, kapitalistische Jutehändler liefern könnte, die im Zuge des Klassenkampfes eliminiert werden müssen. K. D. wird Fragen über Patna und über die unterschiedliche Qualität von Jute beantworten, und unter Palashs gleichmäßigem Pumpen wird eine Lampe flackern und flimmern. K. D. wird sich die rechte Ferse reiben, wo ihn ein unbekanntes Insekt gestochen hat, ein schlängelnd kriechender Angreifer. Die Stelle ist wund, zu einer dicken Beule angeschwollen. Chunder Ghosh hat schon viele Stiche und viele Fieber hinter sich, aber diese plötzliche Blessur wird selbst ihm einen Blick wert sein. Die Fragen werden weitergehen. Sie werden zu lange weitergehen. K. D. wird aufstehen, um sich zu erleichtern. Er wird seine blaue Reisetasche mit dem Schultergurt und dem festen Boden mitnehmen, deren eingangs vorgenommene Durchsuchung eine Thermoskanne, ein Hemd, eine Tüte Erdnüsse, zwei Zeitungen und eintausendsechshundert Rupien zutage gebracht hat. Draußen wird K. D. tatsächlich urinieren. Er wird dazu imstande sein, trotz der Anspannung, die ihm in Wellen durch den Unterleib fährt. Er wird durchatmen, in seine Reisetasche greifen und ganz unten eine Stoffalte ertasten, die er mit einem kleinen reißenden Geräusch hochziehen wird. Darunter befindet sich ein verstecktes Fach, in dem eine geladene polnische Automatikpistole Kaliber .32 liegt. Er wird in die Hütte zurückgehen, die Hand an der Seite, die Tasche vor sich. Er wird Chunder Ghosh ins rechte Auge schießen und Palash in Brust und Hinterkopf. Das Filzen der Hütte wird nur eine magere Ausbeute bringen: einen uralten Colt Kaliber .38, den Chunder Ghosh in der rechten Hand hält, unter dem rechten Oberschenkel verborgen. K. D. wird die Waffe an sich nehmen und fliehen. Doch all das liegt noch vor ihm. Was er im Moment sieht, ist Palash, der vor ihm hergeht, das strahlende Grün des Reises, den über ihnen kreisenden Brahminenweih.
    In diesem ersten violetten Schimmer der Abenddämmerung am Ende der Welt steuern K. D. Yadav und Chunder Ghosh aus verschiedenen Richtungen dieselbe triste Hütte mit eingebrochenem Dach und rissigen Lehmwänden an. Ersterer tut immer noch sein Bestes für Nehru, letzterer hat für eine andere, genauso erhabene und genauso verrückte Vision sein bequemes Leben mit Klub, Konvent und Theatergruppe hinter sich gelassen. Beide glauben, daß irgendwo jenseits der Hütte, jenseits des Horizonts das Glück wartet. Nur das, ganz einfach: das Glück. Aber K. D. sieht jetzt klar, sieht in der großen Klarheit seiner Erkrankung, daß sie beide verraten wurden, noch ehe sie ihren Weg überhaupt angetreten haben. Ein dickes Knäuel der Verachtung entrollt sich in K. D.s Brust, Verachtung für diese jungen Männer, die sich ihrer Gesundheit, der primitiven Vitalität ihrer Träume so sicher sind. Solche Narren. Solche Egoisten. Was hätten sie denn aufbauen können, der eine wie der andere, das nicht in weiteren Morden, weiteren Verlusten, weiterer Krankheit geendet hätte? Die Spinne webt die Vorhänge im Palast der Cäsaren, die Eule ruft von Afrasiabs Türmen die Stunde aus. Und trotzdem haben wir Intrigen gesponnen, sind einander zu Leibe gerückt, haben getötet. Und wir tun es weiterhin und werden nie damit aufhören. Wir werden von Massaker zu Pogrom taumeln, alles im Namen irgendeines künftigen Paradieses. K. D. verspürt einen enormen Ärger, eine Wut auf die gesamte Spezies, auf

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