Der Pate von Bombay
keine Rolle, sie sollten es so schnell wie möglich fertigstellen. Und das haben sie auch getan. Wir haben eine Kopie der Baupläne. Das Titelblatt und einige Beschriftungen, die zur Identifikation hätten dienen können, sind entfernt worden, aber der noch vorhandene Text hat gereicht, um den Ursprung der Pläne in Erfahrung zu bringen. Sie wurden aus dem Internet heruntergeladen, von einer einschlägigen nordamerikanischen Website mit dem Titel ›Wie man den jüngsten Tag überlebte Wir haben das Gebäude in Bombay untersucht. Gaitonde hat sich einen Atombunker bauen lassen.«
Ihre Augen sind silbrigschwarz und funkeln verängstigt. Draußen senkt sich mit dem Seufzen Tausender schlagender Flügel der Abend herab. Tief unter ihnen ist noch das ächzende Verkehrschaos der Stadt zu hören. Die nukleare Bedrohung erzeugt eine Art amorphe Leere, denkt K. D., ein weißes Nichts, das jedem Gedanken, jeder Regung ein Ende setzt. Anjali kann nicht darüber hinaus denken, das merkt er. Er souffliert ihr: »Gaitonde hat also seine Deckung verlassen, er ist geflohen?«
»Ja, er ist nach Bombay zurückgekommen. Er hat nach drei Sadhus gesucht. Man hat ihn tot aufgefunden, er hat sich erschossen. In diesem Bunker.«
»Was war sonst noch in dem Bunker? Habt ihr irgendwas gefunden?«
»Noch eine andere Leiche, die einer Frau. Eine gewisse Jojo Mascarenas, eine Kupplerin, die ihn mit Frauen versorgt hat. Gaitonde hat sie mit derselben Pistole erschossen wie sich selbst.«
K. D. hatte von Gaitondes stetigem Konsum an Frauen, Mädchen gewußt. Er hatte sich nie die Mühe gemacht, darüber nachzudenken, wo sie wohl herkamen. Nun wußte er es. »Und sonst?«
»Ein Fotoalbum mit Bildern von diesen Mädchen. Und Geld. Ein Crore und einundzwanzig Lakhs, in neuen Scheinen von der Zentralbank.«
»Habt ihr Nachforschungen über diese Frau angestellt?«
»Ja. Wir haben ihre Wohnung ausfindig gemacht und durchsucht. Nichts Interessantes. Ein bißchen Bargeld. Zum Teil muß es von Gaitonde gestammt haben, denn es war dieselbe Serie, neue Scheine, in Plastik eingeschweißt. Mascarenas hat im Umfeld der Film- und Fernsehindustrie gearbeitet, in diesem Busineß ist eine Menge Schwarzgeld unterwegs. Und dann noch ein paar Kassetten und Fotos von Schauspielerinnen. Das war alles.«
Sie wartet. Sie gestattet sich einen Anflug von Hoffnung, aber K. D. hat ihr nichts zu sagen. Keine Erklärungen sind aus dem Strudel seiner Verwirrung aufgestiegen, keine Hinweise haben sich aus den dahintreibenden Massen seiner Vergangenheit gelöst. »Laß mich ein bißchen darüber nachdenken«, sagt er. »Darüber muß ich nachdenken.«
Sie ißt mit ihm zu Abend, von einem unterteilten Metalltablett. Er löffelt sein Khichri und versucht nachzudenken. Die nukleare Bedrohung ist auf dem Subkontinent schon seit Jahrzehnten präsent, und die Organisation hat sich ihrer angenommen. Sie haben zahlreiche Operationen durchgeführt, um Informationen über Technologien, Theorien, Taktiken und Standorte zu gewinnen, zum Teil mit großem Erfolg. Sie sind im Besitz von Daten und kennen die Möglichkeiten und Intentionen der Pakistanis, der Chinesen und der Amerikaner. K. D. hat einige der Analysen gesehen, Berichte und Thesenpapiere, sowie die rötlichbraunen Satellitenfotos, die Raketenabschußbasen und Flugstützpunkte zeigen, und er weiß, daß abschußbereite Waffen auf seine Städte gerichtet sind, auf ihn. Trotzdem war die Vorstellung einer Atombombenexplosion für ihn immer absolut unwirklich, weit entfernt von dem alltäglichen schmutzigen Geschäft - etwa nachts in einer eisigen Hütte auf einer kaputten Kiste zu sitzen, die Beine zum Schutz vor Schlangen und Skorpionen angezogen, und auf einen pakistanischen Informanten zu warten. Oder einen Mann unter einem doppelten Stacheldrahtzaun hindurch, durch wogende Weizenfelder, an den mit Nachtsichtgeräten ausgerüsteten Gewehren der Pakistani Rangers 468 und schlafendem Vieh vorbeizulotsen - das war gutes Handwerk, harte Arbeit und Begabung, in altbekannter, altbewährter Manier. Nukleare Zerstörung dagegen gehörte in die Thriller, die K. D. auf langen Fahrten und abends vor dem Einschlafen las, immer noch liest. In dem Bücherstapel neben seinem Bett liegen zwischen den Bänden über römische Geschichte und den CIA-Autobiographien solche Romane, die er zum Vergnügen liest, und oft lacht er über die wilden, extremen Szenarien, die dort entworfen werden, die Millionen von Toten, die heimtückischen
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