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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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Straßenjunge, der das Geld holt -die übliche Vorgehens weise des Durchschnittserpressers. »Umesh war nicht dabei?«
    »Nein, die wissen nicht, daß er Bescheid weiß. Sie haben gesagt, ich soll niemandem etwas sagen, keiner Menschenseele. Sonst würden sie mir etwas antun.«
    Daß Erpresser mit Gewalt drohten, war ungewöhnlich. Wenn man Fotos hatte, war Gewalt überflüssig. »Und der Chokra, wie sah der aus?«
    Die Frage verwirrte Kamala Pandey. »Der Junge? Ich weiß nicht. Irgendein Straßenkind eben.« Ein barfüßiger, verwilderterjunge, davon gab es in Mumbai an jeder Ecke ein Dutzend.
    »Versuchen Sie's, Madam. Können Sie sich an irgend etwas erinnern? Es ist sehr wichtig.«
    »Ja. Ja ...« Sie überlegte. »Sein T-Shirt. Es war ein DKNY-Shirt mit rundem Halsausschnitt. Und Logo darauf.«
    »Deka NY?« Sartaj schrieb es in sein Notizbuch.
    »Nein«, sagte sie geduldig und leicht belustigt, wie jemand, der mit einem weit unter ihm Stehenden spricht. »In einem Wort und alles in Großbuchstaben. So.« Sie nahm seinen Kugelschreiber und schrieb in großen Lettern DKNY auf den Zettel. »Die Buchstaben waren stark ausgebleicht.«
    Zeugen mußten für jede Kleinigkeit gelobt und zu weiteren Gedächtnisleistungen angespornt werden. »Sehr gut, Madam«, sagte Sartaj. »Das hilft uns ein großes Stück weiter. Sonst noch etwas? Bitte, denken Sie scharf nach. Die kleinste Einzelheit kann zur Aufklärung des Falles führen.«
    Sie zog einen angewiderten kleinen Schmollmund und berührte einen Zahn neben ihrem vollkommenen rechten Eckzahn. »Sein Zahn, der hier. Der sah so schmutzig aus. Schwarz und grau statt weiß.«
    »Hervorragend. Auf dieser Seite?«
    »Ja.«
    »Okay. Gut, daß Sie die Nummern der Anrufer notiert haben. Wahrscheinlich haben sie von einer öffentlichen Kabine aus angerufen. Sobald Sie Anzeige erstattet haben, lassen wir einige beobachten.«
    »Das kann ich nicht.«
    »Was können Sie nicht?«
    »Anzeige erstatten.«
    »Madam, wie soll ich ohne Anzeige etwas unternehmen?«
    »Bitte verstehen Sie mich. Sobald etwas Schriftliches vorliegt, spricht sich die Sache herum.«
    »Ich verstehe ja, daß Sie fürchten, Ihr Mann könnte etwas erfahren, Madam. Aber verstehen Sie bitte auch, daß die Polizei ohne Anzeige nicht aktiv werden kann. Wir haben dann keinerlei Handhabe.«
    »Bitte.« Sie beugte sich über den Tisch, die Hände an den Wangen - eine routinierte Schauspielerin.
    »Ich kann nichts tun, Madam.« Sartaj reckte den Hals und lockerte seine verspannten Schultern. Er ärgerte sich über sie, schon eine ganze Weile. Es war ein Brennen in der Brust, das er sich nicht erklären konnte.
    »Bitte«, wiederholte sie. »Stellen Sie sich doch vor - ich würde alles verlieren.«
    »Das hätten Sie sich vorher überlegen sollen, meinen Sie nicht?«
    Das nahm ihr den Wind aus den Segeln. »Ja.«
    Sie bedeckte ihre Augen, und als sie die Hände wieder wegnahm, standen Tränen darin. Eine Minute verging, dann noch eine. Sie tupfte sich die Tränen ab. Sartaj war sich sicher, daß ein sachkundig ausgeübter leichter Druck auf die Lider sie hervorgebracht hatte. Doch nun schien Kamala Pandey wirklich traurig. Er nahm eine Mattheit an ihr wahr, die er kannte, jene Erschöpfung, die sich einstellt, wenn man etwas verliert, was man sich über Jahre aufgebaut hat. Vielleicht hatte man es kaum geschätzt, vielleicht war es so vertraut gewesen, daß man es vernachlässigt, daß man Schindluder damit getrieben hatte. Und dann merkte man, daß dieses Etwas, diese Verbindung, dieses hinfällige Gebilde seine Wurzeln tief unter die Haut getrieben hatte, bis in die Knochen.
    Kamala Pandey faßte sich wieder. Sie straffte die Schultern und richtete sich ein wenig auf, bereit zum Angriff. Sartaj mußte an den Spazierstock denken, den sie auf dem Rücken ihres Mannes zerschlagen hatte, und er fragte sich, ob Mr. Pandey wohl gelernt hatte, die Vorzeichen zu erkennen und sich in acht zu nehmen.
    »Hören Sie«, sagte sie, »ich werde Sie bezahlen.«
    Sartaj erwiderte nichts. Sie griff tief in ihre Tasche und brachte ein längliches weißes Kuvert zum Vorschein. Schweigend wartete sie auf seine Reaktion. Sartaj sagte nichts. Sie schob das Kuvert über den Tisch und ließ es neben seinem Glas liegen, nahe bei seiner Hand.
    Sartaj schnippte mit dem Zeigefinger die Lasche hoch. Hundert-Rupien-Scheine. Zwei Bündel. Zwanzigtausend Rupien.
    Jetzt war er ernsthaft wütend. Er drückte das Kuvert zu, so heftig, daß sein Fingernagel

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