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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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Mary. »Jana paßt auf mich auf.«
    Als Sartaj dicht neben den beiden im Aufzug stand, stellte er fest, daß Jana in der Tat sehr kompetent wirkte. Sie hatte einen Sindur-Streifen im sorgfältig gescheitelten Haar und trug eine mattrote Kurta über einer schwarzen Salvar, dazu praktisches Schuhwerk und eine große eckige Umhängetasche. Darin steckte eine Plastikflasche mit zweifellos abgekochtem Wasser. Es war die Tasche einer Mutter, hübsch, aber geräumig und robust, geeignet für Imbisse, Schokolade, Medikamente, Gemüse und Schulbücher. Eine vertrauenerweckende Tasche.
    Das Schloß von Jojos Wohnungstür war mit Textilklebeband versiegelt und mit rotem Wachs und dem Amtszeichen der Polizei von Mumbai gesichert. Sartaj reichte Mary den Schlüssel und holte eine große schwarze Schere aus seiner Sporttasche. Er war gut vorbereitet. Er riß das Siegel ab und schaute zu, wie sich Mary mit dem Schlüssel abmühte. »Darf ich mal?« fragte er, aber Mary schüttelte energisch den Kopf, straffte sich und probierte es weiter. Jana warf Sartaj über ihren Kopf hinweg einen resigniert-entschuldigenden Blick zu: Lassen Sie sie, so ist sie nun mal. Sie warteten. Dann endlich sprang das Schloß geräuschvoll auf.
    Jana öffnete sofort die Fenster, und nach und nach wurde das Wohnzimmer sichtbar. Mary war an der Tür stehengeblieben. Sartaj fuhr mit der Hand über die Lichtschalter hinter ihr. Nichts, kein Strom. »Yaar, ist das eine schöne Wohnung!« rief Jana aus der Küche, überrascht, aber auch hörbar entrüstet.
    Frauen sind immer entrüstet, dachte Sartaj, wenn andere Frauen, die als Schlampen gelten, Geld verdienen, Geschmack haben und ein bißchen Glück genießen. Was Mary empfand, war nicht zu erkennen. Sie ging durch die Wohnung, blieb in jedem Zimmer stehen, betrachtete es und sagte kein Wort. Janas Kommentare dagegen nahmen kein Ende. Nur im Schlafzimmer ließ Jojos verschwenderische Schuhsammlung sie einen Moment fassungslos verstummen, dann folgte eine lange, gründliche Inventur. Mary stand in der Tür.
    Sartaj öffnete ein Fenster. »Hier waren auch Fotoalben«, sagte er. »Irgendwo müssen sie noch sein.« Ein heilloses Durcheinander herrschte in dem Raum, und die überall verstreuten Schuhe, Kleider und Magazine waren von einer dicken Staubschicht bedeckt. »Da sind sie ja.« Sartaj ging um das Bett herum zur Frisierkommode. Er nahm das oberste Album und klopfte auf den Umschlag. Eine feine Staubwolke stob auf, und Sartaj merkte plötzlich, wie laut und triumphierend seine Stimme geklungen hatte. Mary stand außerhalb des Lichtscheins, der durchs Fenster fiel, und er konnte ihr Gesicht nicht erkennen. »Sie müssen zum BSES und den Strom wieder anstellen lassen«, sagte er und legte das Album auf die Kommode zurück. »Da sind wahrscheinlich noch Rechnungen offen. Okay, ich muß los.« Er nickte und wandte sich zum Gehen.
    Mary trat in den Flur hinaus, um ihn vorbeizulassen. Sartaj winkte Jana zu, und sie nickte ebenfalls, sah dabei aber Mary an. Sartaj war schon fast an der Wohnungstür, da sagte Mary: »Danke.«
    »Schon gut«, erwiderte Sartaj. »Keine Ursache.«
    »Ich hab's nicht vergessen.«
    »Was?«
    »Ihre Ermittlungen zu Ganesh Gaitonde. Ich hab versucht, über Jojo nachzudenken und mich zu erinnern.«
    »Danke.«
    Sie lächelte wieder, auch diesmal ganz plötzlich, ohne Vorwarnung. Dann hob sie die Hand zu einem seltsamen kleinen Winken aus dem Handgelenk heraus. Sartaj nickte noch einmal und schloß die Tür.

    Nachdem er sich anderthalb Stunden hin und her gewälzt hatte, war Sartaj erschöpft und noch wacher als zuvor. Er hatte lange geduscht und war kurz nach Mitternacht zu Bett gegangen, ganz stolz, daß er es so früh geschafft hatte. Jetzt aber regte sich eine leichte, anhaltende Unruhe unter seiner Haut. Er hatte drei Whisky-Soda getrunken und fand trotzdem keinen Schlaf. Er setzte sich auf. Schatten von Stromleitungen schwankten über die Fensterscheibe. Der Name des Hundes fiel ihm nicht mehr ein, des kleinen weißen Hundes, den Kamala Pandeys Mann aus dem Fenster geworfen hatte. Er erinnerte sich, wie das Tier mit gespreizten Gliedmaßen auf dem Asphalt gelegen hatte, aber er kam nicht mehr auf den verdammten Namen. Er hatte noch Kamala Pandeys Nummer. Er konnte anrufen und fragen, wie hieß der Hund noch mal, den Ihr Mann umgebracht hat, den Sie beide mit Ihren schmutzigen Spielchen umgebracht haben?
    Er schwang die Füße auf den Boden und rieb sich die Augen. Unmöglich, das

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