Der Pate von Bombay
ich mich wochenlang ruhelos herumgewälzt hatte, zerschlagen aus unruhigem Dämmerschlaf hochgefahren war, schlief ich jetzt tief und lang.
Ich erwachte morgens um fünf vom Weckpfiff, fühlte mich fit und erholt und bereit für einen neuen Krieg. Meinem Bedürfnis nach Reinlichkeit Folge leistend, hatten die Jungs die Latrinen gesäubert und dafür gesorgt, daß mich im Waschraum volle Wassereimer und ein frisches Handtuch erwarteten. Ich brauchte nicht lange, und schon waren auch Date und Kataruka da, um mich abzuholen. »Die Mamus sind bereits hier«, sagte Date. Die Polizisten standen an der Tür, sie führten uns in Zweierreihen zum Abzählen hinaus. Unter dem sich zuziehenden Himmel gingen sie zählend auf und ab, und während das Ginti 232 im Gange war, besprach ich mich mit meinen beiden Controllers. Ich hatte einen Plan geschmiedet, zumindest in Ansätzen. Beim Frühstück diskutierten, ergänzten und erweiterten wir ihn, und allmählich sah ich, wie er sich würde verwirklichen lassen. Nach dem Frühstück führten uns die Havaldars wieder in die Baracke, wo nun die Masse der Häftlinge schubsend und drängelnd Schlange stand, um sich zu waschen. Bald erhob sich ein gewaltiges Stimmengewirr unter den Dachsparren, die Geräuschkulisse von Männern, die sich Geschichten erzählten und stritten, die Karten spielten und beteten. Am nördlichen Ende der Baracke befand sich ein improvisierter Schrein, bunte Bilder von Rama 520 , Sita 597 und Hanuman klebten dort an der Wand, hier saßen Männer in Reihen und sangen Bhajans. Am südlichen Ende knieten die Moslems zum Namaaz 441 vor einer nackten weißen Wand. Und überall in dem langen Raum saßen Grüppchen zusammen und vertrieben sich die langen Stunden bis zum Mittagessen. Der Aufseher und vier seiner Helfer wachten großspurig neben einem großen, voll aufgedrehten Radio, aus dem Lieder bis ans Ende der Baracke drifteten: Mere sapnon ki rani kab aaye gi tu, aayi rut mastaani kab aaye gi tu ... 419
Binnen drei Wochen konnte ich meinen Plan umsetzen. Und in diesen drei Wochen erlernte ich den Rhythmus meines neuen Lebens: morgens um fünf der Pfiff, die schläfrigen Reihen für das Ginti draußen, das Klappern der Teller und Schüsseln aus Aluminium und das dampfende Curry auf dem Daal 136 , Curry, für das man extra bezahlte; die langen Morgenstunden und dann der Geruch gekochten Essens aus der Küche, wo Teig mit den Füßen geknetet und fauliges Gemüse in Töpfe geworfen wurde; nach dem Mittagessen um zehn das Gemurmel, das Schnarchen, der Schweißgeruch Hunderter von Männern; die Raucher mit ihren kostbaren Charas-Klümpchen und dem ausführlichen Ritual des Erhitzens, Zerkrümeins und Rollens; die mal hier, mal da gespielten Schach-, Teen-patti- und Ludo-Partien 378 , das Gelächter und die Flüche zum Klackern der Würfel; meine Jungs, die, um die beiden einzigen Carrom-Bretter in der Baracke geschart, voller Hingabe das Fortschreiten der Meisterschaft verfolgten, die sie mitsamt auf Tafeln notierten Tabellen fürs Einzel und Doppel austrugen; die Raufereien und plötzlichen Feindseligkeiten, die zwischen den auf engstem Raum zusammen lebenden Männern aufflammten und sich wie Lauffeuer zwischen den Bettreihen ausbreiteten; die Schreie und Drohungen, wenn sich zwei Männer unter den Blicken hundert anderer gegenüberstanden, beide aus Angst vor der Schmach nicht bereit nachzugeben; die muskulösen Kalias 308 aus Nigeria, die im Hof für fünfzig Rupien winzige Päckchen Brown Sugar verkauften, und ihre Kunden, die in kleinen Runden dicht beieinander hockten und den Rauch mit der andächtigen Miene derer inhalierten, die eine andere, bessere Welt gesehen haben. Das lange Warten auf das Abendessen, dann wieder der gleiche wäßrige Fraß, der klumpige grobe Reis, die gummiartigen Chappatis, und schließlich um acht das Schlafengehen.
Wir lebten dieses Leben und träumten von draußen. Als ich Date und Kataruka von meinem Plan erzählte, ihnen sagte, daß ich zwei neue Männer brauchte, zwei harte, handlungsfähige Jungs, keine Aufschneider, die beim Anblick von Blut wie das Kaninchen vor der Schlange erstarren, protestierten die beiden. Sie schüttelten den Kopf und erklärten, man könne sich unmöglich auf Männer verlassen, die sich noch nicht bewährt hätten. Genau deshalb, sagten sie, machen wir es doch so schwierig, in die Company reinzukommen: damit wir erst mal sehen können, ob der Bewerber überhaupt die Nerven für diesen Job hat. Deshalb
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