Der Pate von Bombay
einer neuen Spezialeinheit aus, womöglich eine Regierungsinitiative, mit der man den Eindruck erwecken wollte, aktiv gegen das organisierte Verbrechen vorzugehen. Auf lange Sicht würde das keine Folgen haben, aber es war lästig. Ich versprach meinen Besuchern, mich um ihr Anliegen zu kümmern, und sagte, sie sollten sich in einer Woche noch mal melden. Als einer meiner Jungs ihnen die Tür öffnete, hörte ich deutlich eine wütende Aufforderung und dann Katarukas Antwort, heiser und sehr laut. Diese Bhenchods von Polizisten brüllten in meinem Haus herum. Maderchods. Ich stand auf und ging durch den langen Flur, schob mich an der Familie der Bittsteller vorbei, Mutter und Vater, mehrere Onkel und der Sohn. Selbst in meiner Wut war ich mir des typischen Geruchs meines Zuhauses bewußt, dieses Geruchs nach Zwiebeln, Kurkuma und Öl von dem Mittagessen, das in der Küche zubereitet wurde. Ich sog ihn ein. »Holt Gaitonde sofort her«, schrie einer der Polizisten. Zwischen ihm und mir standen mehrere Jungs und einige weitere Besucher, doch ich erhaschte einen Blick auf seine Schultern und sein Gesicht, sah einen weiteren Polizisten hinter ihm und das Schimmern einer AK-47. »Er kommt, wenn er soweit ist«, antwortete Kataruka, genauso laut und zornig wie der Polizist. Ich schob mich durch das Gedränge; vor mir stand Dipu, der sich zum smarten Städter gewandelt hatte, seit er bei uns war, und einen neuen Haarschnitt hatte.
Ich fragte ihn im Vorbeigehen: »Wie viele sind es?«
Er sagte mir ins Ohr: »Vier, Bhai.«
Jetzt sah ich links einen dritten Polizisten. Er hatte den Karabiner schußbereit über der Schulter hängen, den Finger am Abzug. Plötzlich dämmerte es mir: Vier Polizisten, und zwar nur vier, die, mit automatischen Waffen ausgerüstet, in einem Transporter kamen, um Ganesh Gaitonde abzuholen - das ergab keinen Sinn. Der herumschreiende Polizist beugte sich näher zu Kataruka, und dabei entdeckte er mich. Unsere Blicke trafen sich. Ich drehte mich um und rannte los.
Während die Gewehre knatterten, lief ich geduckt durch den Flur zurück, zwischen den fuchtelnden, schreienden Menschen hindurch oder über sie hinweg. Im Schlafzimmer fischte ich hinter dem Kopfbrett des Betts hektisch nach meiner Pistole. Die Schüsse durchsiebten die Wände, so daß der Putz spritzte, mir blieben nur Sekunden, also sprang ich durch das Fenster rechts neben dem Bett. Ich fiel zwischen die Hauswand und die Grundstücksmauer und spürte, daß in meinem Arm etwas gebrochen war, doch ich mußte weiter. Ich rannte aus dem hinteren Tor hinaus, zwei meiner Jungs schlössen sich mir an und führten mich im Laufschritt durch die nahen Gassen. Wir bogen zweimal ab, stürmten dann in ein Haus hinein und sanken dort alle drei völlig erschöpft zu Boden, als wären wir fünfzehn Kilometer gerannt.
Das Gewehrfeuer dröhnte ganz in der Nähe, über dem Geknatter der AK-47 und der Karabiner waren auch einzelne Gegenschüsse zu hören. Und dann war plötzlich alles vorbei. Keine Schüsse mehr, nur noch Schreie, verzweifelte Rufe, die durch das Basti schwirrten. Ich lebte noch.
Meinen Arm haltend, trat ich auf die Gasse hinaus. Erst jetzt beim Gehen spürte ich einen brennenden Schmerz am Hintern, einen schmalen Streifen, als hätte mir jemand einen geschmolzenen Draht darübergezogen.
»Sie bluten, Bhai«, sagte jemand. Ich schob ihn zur Seite und ging ins Haus. »Einen von ihnen haben wir erwischt«, sagte ein anderer. Ja, einen hatten sie erwischt, er lag vorn am Eingangstor, ein Bein unter dem Körper verdreht. Im Eingangsbereich des Hauses war die Decke voller Blut, und an den Wänden hingen Gewebefetzen. Dipu war tot, Kataruka ebenso.
Siebzehn Männer starben an jenem Tag in meinem Haus, vier Frauen und ein Kind. Doch zunächst wußten wir das nicht, wir hatten nur einen wirren Haufen von Leichen vor uns. Erst als wir begannen, sie hinauszutragen, fanden wir am hinteren Ende des Flurs, in der Küche, Subhadra und Abhi, unter ihrem blauen Sari zusammengekrümmt. Sie waren von ein und derselben AK-47-Kugel durchbohrt worden, die erst durch den Türpfosten und dann durch sie beide hindurchgedrungen war. Sie waren tot. Meine Frau war tot. Mein Sohn war tot.
Ich kehrte ins Gefängnis zurück. Nachdem mein gebrochenes Handgelenk eingegipst und die Wunde von dem Streifschuß an meinem Hintern genäht worden war, nachdem wir unsere Toten hatten einäschern lassen, überlegten wir, welche Handlungsoptionen wir hatten. Wir wußten
Weitere Kostenlose Bücher