Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
Vom Netzwerk:
befreundet waren. Das sah sie ein, und sie wurde noch diskreter, als sie es ohnehin schon war. Wir telefonierten spät am Abend miteinander, immer nur mit unseren speziellen Handys.
    »Gaitonde?« sagte sie. »Hallo?«
    »Ja«, sagte ich. »Ich bin da.« Aber ich war mir nicht mehr so sicher, ob ich wirklich da war. Durch einen Sohn ist ein Mann im Leben verwurzelt. Wird diese Verbindung durchtrennt, treibt er ziellos dahin. »Weißt du, was mir fehlt? Mir fehlt der Duft seiner Haare nach seinem Bad.«
    »Ich weiß. Was fehlt dir, wenn du an Subhadra denkst?«
    Ich hatte Mühe, mir Subhadras Gesicht vor Augen zu rufen, mich an ihr Aussehen zu erinnern. Aber das sagte ich Jojo natürlich nicht. »Sie hat mir abends immer ein Glas Milch gebracht«, sagte ich, doch ich wußte, daß Jojo mein Zögern bemerkt hatte. Aber sie ging nicht darauf ein, hielt mir keinen ihrer Vorträge über Männer und Frauen.
    »Gaitonde. Du redest nie von deinen Eltern.«
    »Nein.«
    »Wer war deine Mutter?«
    »Eine Frau, was sonst?«
    »Und sonst? Wie war sie?«
    »Sie war meine Mutter. Vergiß es. All dieses maderchod Gerede.«
    Sie schwieg. Ich hatte ihr nicht über den Mund fahren wollen, und ich wollte kein Schweigen, ich ertrug es nicht. »Erzähl mir von deinen Eltern.« Ich hörte sie atmen. »Jojo?«
    »Ich versuche gerade, dich nicht zu beschimpfen. Du bist schon angespannt genug.«
    »Wenn ich nicht so angespannt wäre, würde ich Gaalis von dir zu hören kriegen?«
    »Wer so mit mir redet, kriegt Gaalis von mir zu hören.«
    Ich lag in einer Ecke der Baracke auf dem Boden. Ich mochte das Gefühl des kalten Betons an meinem Nacken. Durchs Fenster sah ich die Mauer, die sich schwarz erhob, und die Glasscherben darauf, die im Mondlicht grell glitzerten. Ich mußte lächeln. Irgendwie brachten mich Jojos Unerschrockenheit und ihre Wut immer wieder zum Lächeln. Ich glaube, im täglichen Leben hätte ich sie gehaßt. Aber am Telefon, ich hier, sie da, konnte ich nicht anders als lächeln. »Hör zu, meine Gute«, sagte ich. »Ich bin wirklich angespannt. Also verzeih mir. Erzähl mir von deiner Mutter.«
    Jojo erzählte mir von ihrem Vater, der Kapitän gewesen war. Er führte kleine Schiffe für eine große Firma und war oft monatelang weg. Wenn er nach Hause kam, wollte er, daß im Haus Ruhe herrschte. Die Papageien in den Obstgärten hinter dem Haus versetzten ihn in rasende Wut, er warf Knallfrösche in die Baumkronen und kaufte sich schließlich ein Gewehr. Doch so viele Kuckucke und Schwalben er auch mordete, die Vögel verschwanden nicht, sie hockten sich auf die Köpfe seiner Vogelscheuchen und nisteten in deren Bäuchen. Irgendwann zog er sich in den Armsessel im Wohnzimmer zurück, steckte sich rote Stöpsel in die Ohren und legte sich ein schwarzes Tuch über die Augen. Seine Töchter schlichen auf Zehenspitzen herum und versuchten möglichst lange wach zu bleiben, um von den Unterhaltungen ihrer Eltern etwas aufzuschnappen. Doch sie hörten nie etwas, das ihnen geholfen hätte, ihn zu verstehen, nicht einmal beim Essen, bei dem er allenfalls sagte, daß das Fischcurry versalzen war und sie nicht genug Geld für neue Kleider zu Ostern hatten. Und so ging es weiter, bis er wieder für ein paar Monate wegfuhr. Als Jojo elf war, starb dieser rauschebärtige Vater auf der Brücke seines letzten Schiffs an einem Herzinfarkt, an einem regnerischen Tag im Persischen Golf. Er starb auf seinem Kapitänsstuhl, ein schwarzes Tuch über den Augen, so daß seine Männer dachten, er schlafe. Jetzt hat er endlich Ruhe, dachte Jojo damals. Für sie dagegen gab es keine Ruhe, denn wie sich herausstellte, war seine Rente äußerst bescheiden. Sie waren arm. Doch Jojos Mutter ließ sich davon weder niederdrücken noch ängstigen. Ich habe mein Land, sagte sie, und ich weigere mich, geduckt und kummervoll durchs Leben zu gehen, weil Gott meinen Mann zu sich genommen hat. Gott ist gnädig und wird sich unser annehmen. Und so zog sie ihre Töchter allein auf, mit harter Arbeit, Entbehrungen und straffer Disziplin. Ihr müßt euch in dieser Welt selbst versorgen können, sagte sie, vergeßt das nicht.
    »Ich habe sie einmal nach ihnen beiden gefragt, nach ihrem gemeinsamen Leben«, sagte Jojo. »Wie sie es all die Jahre mit ihm ausgehalten hat, in diesem ständigen Schweigen.«
    »Und was hat sie gesagt?«
    »Nichts. Sie hatte so eine Art, den Mund zu verziehen, ihn ganz klein zu machen, als wäre sie verärgert, und dazu winkte sie ab. Als

Weitere Kostenlose Bücher