Der Pate von Bombay
der ein rotes T-Shirt mit dem und dem Logo trage und einen schwarzen Zahn habe, solle in Erfahrung bringen, wie der Junge heiße und, wenn möglich, wo er wohne. Er dürfe Rotes T-Shirt nichts merken lassen oder ihm gar einen Hinweis geben, daß große, häßliche, brutale Polizisten nach ihm suchten. Und er solle Sartaj oder Kamble unter der und der Nummer anrufen, sobald er etwas über den Jungen herausgefunden habe.
»Ich kann doch nicht hier herumspazieren und den Jungen in den Mund gucken«, sagte Jayanth. »Die werden mich für einen Perversen halten, die sind sehr clever.«
»Ich weiß, Onkel. Halten Sie einfach nach dem roten T-Shirt Ausschau. Und dann reden Sie mit dem Jungen. Seien Sie geduldig. Überstürzen Sie nichts. Tun Sie Ihre übliche Arbeit, und halten Sie die Augen offen.«
»Okay«, sagte Jayanth.
»Er wird schon wieder auftauchen«, sagte Kamble.
»Natürlich«, sagte Jayanth mißmutig. Straßen jungen hatten klare Gebietsansprüche, ihre Territorien waren markiert, zum Teil verliefen die Grenzen sogar mitten auf der Straße. Und sie verteidigten ihr Revier so erbittert wie Generale, die einen Krieg um heiligen Boden ausfochten, das wußte jeder. »Aber glauben Sie, daß er in demselben T-Shirt wiederkommt?« Und dann zu Kamble: »Was machen Sie da eigentlich?«
Kamble hielt Jayanths Hosentasche auf und wühlte darin herum. »Keine Sorge«, sagte er. »Ich beklaue Sie nicht. Keine Sorge. Und machen Sie sich keine Gedanken wegen des Jungen. Seien Sie einfach wachsam, halten Sie die Augen offen. Er wird schon kommen.« Kamble hielt eine braune Brieftasche hoch, deren Leder vollkommen abgewetzt war. »Sie haben nicht viel Geld dabei, Onkel.«
Jayanth antwortete, wie aus der Pistole geschossen: »Zuviel Diebespack auf der Straße.«
Kamble gluckste anerkennend. »Sechshundert Rupien und ein Bild von ... Was für ein Gott ist das?«
»Murugan.«
»Kein Ausweis, nichts.«
Als Sartaj sanft Jayanths andere Hosentasche abklopfte, knisterte etwas. Er angelte mit dem Zeigefinger danach und brachte einen zweimal zusammengefalteten Brief zum Vorschein.
»Aus Malad«, sagte Sartaj. Der Brief selbst war in einer unentzifferbaren südindischen Schrift verfaßt, aber die Adresse stand auf Englisch darauf. »Sie arbeiten fast vor der Haustür, Onkel.«
»Ich bin ein alter Mann. Kann nicht mehr so weit fahren.«
Kamble gab ihm die Brieftasche zurück. »Aus Dharavi sind Sie ja weggezogen. Ich wette, Sie haben in Malad eine schöne Wohnung. Für einen alten Mann verdienen Sie ganz schön gut. Selbst wenn Sie das Geld nicht bei sich tragen.« Jayanth wand sich etwas unter Kambles wachem, feindseligem Blick und sah zu Boden.
Sartaj schrieb sich die Adresse auf. »Warum sind Sie denn in Ihrem Alter überhaupt noch hier am Werk, Onkel? Unterstützt Sie Ihr Sohn, der Amerika-vaala, nicht mehr?«
Jayanth wackelte mit dem Kopf und sah dabei so traurig aus wie der klassische Filmi-Vater, der sich ein Leben lang mit Familienstreits, Undankbarkeit und Tragödien hat herumschlagen müssen. »Der hat jetzt selbst Kinder«, sagte er. »Und seine eigenen Verpflichtungen.«
»Hat er eine Amerikanerin geheiratet?«
»Ja.«
Sartaj klopfte Jayanth auf die Schulter, wiederholte noch einmal seine Anweisungen und schickte ihn dann fort. Kamble war sichtlich unzufrieden, und Sartaj wußte, daß er an die sechshundert Rupien in der Brieftasche dachte. »Eine Frau?« fragte Sartaj.
»Was?«
»Ich dachte, Sie wollten noch eine aufs Kreuz legen, gegen die Anspannung wegen der Bombe.«
»Ja, ja. Es gibt überhaupt zuviel Anspannung heutzutage. Selbst die Apradhis erzählen einem schon, wie angespannt sie sind.«
»Vielleicht sollten Sie dann zwei nehmen, gegen die doppelte Anspannung.«
»Sie haben recht, mein Freund«, sagte er. »Ich werde heute nacht nicht zwei, sondern gleich drei Frauen flachlegen. Gegen die dreifache Anspannung.«
Sartaj sah Kamble nach, wie er davonstolzierte und die ihren abendlichen Einkäufen nachgehenden Passanten zwang, ihm wie einem König den Weg frei zu machen. Wenn er mal etwas älter war und ein paar Niederlagen eingesteckt hatte, würde er vielleicht einen guten Polizisten abgeben. Doch noch war er zu großspurig, und zugleich hatte er Angst. Angst vor dieser neuen Gefahr, von der er heute gehört hatte. Sartaj hatte ebenfalls Angst, doch er hatte in seinem Leben schon oft und lange Angst gehabt und rechnete nicht damit, von ihr erlöst zu werden. Schnelles entschlossenes Handeln
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