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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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Dreckskerl hat sich gern reden gehört, dachte Sartaj und öffnete die Badezimmertür.
    Zum Frühstück verzehrte er drei Scheiben Toast mit Butter, eine matschige Orange und Chai, der zu lange gezogen hatte. Im Indian Express prangte Gaitonde auf der Titelseite, in selbstbewußter Pose auf einem Berggipfel, und der Artikel über ihn nahm drei lange Spalten ein. Sartaj las ihn von Anfang bis Ende, las von Gaitondes plötzlichem Aufstieg, seiner Machtentfaltung, den verworrenen Fehden, den Morden und Überfällen, dem ganzen Spiel. Sartaj Singh als furchtloser Anführer des Polizeitrupps wurde natürlich ebenfalls erwähnt, doch von der toten Frau stand nichts da, kein Wort. Für die Öffentlichkeit war Gaitonde einsam und verlassen gestorben.
    Das Telefon klingelte. Sartaj spürte das Schrillen im Nacken, reagierte aber nicht. Es konnte nur ein Journalist sein. Nach einer Weile hob er doch ab.
    »Inspektor Singh?«
    Es war Sardesai, Parulkars Assistent, mit seiner eigenartigen, stark näselnden und fast flüsternden Sprechweise.
    »Sardesai-saab«, sagte Sartaj. »Alles in Ordnung?« Normalerweise wurden Anrufe aus Parulkars Büro vom Telefonisten durchgestellt. Sardesai rief nur an, wenn etwas keinen Aufschub duldete oder vertraulich behandelt werden mußte oder wenn irgendeine Intrige zwischen den Abteilungen im Gange war.
    »Ja, alles bestens. Aber Parulkar-saab möchte, daß Sie so schnell wie möglich in sein Büro kommen.«
    »Jetzt?«
    »Jetzt.«
    Mehr würde Sartaj am Telefon nicht erfahren. Sardesai war für seine Verschwiegenheit selbst von Angesicht zu Angesicht bekannt, das Ideal eines persönlichen Assistenten. Sartaj legte auf und duschte rasch. Er kannte Parulkar seit langem; noch nie hatte er einen Untergebenen ohne triftigen Grund von zu Hause herbeordert. Andere Beamte taten das ständig, behandelten ihre jüngeren Kollegen wie Dienstboten. Parulkar aber kannte keine Arroganz, nur den gebührenden Stolz auf das, was seine Leute leisteten. Und deshalb hatte er Erfolg. Wenn Parulkar also rief, kam Sartaj sofort.

    Katekars Söhne standen am Fußende seiner Matte. Als er die Augen aufschlug, knieten sie sich hin und zupften ihn kichernd an den Zehen. Beide trugen graue Hosen mit Bügelfalten, ein weißes Hemd und eine blau-rot gestreifte Krawatte, und beide hatten einen schnurgeraden Linksscheitel.
    »Wo ist eure Mutter?« murmelte Katekar. Er hatte einen widerwärtigen, beißenden Zwiebelgeschmack im Mund.
    »Auf dem Gemüsemarkt«, antwortete Rohit.
    »In genau fünf Minuten tretet ihr draußen an.«
    Sie ergriffen die Flucht, als er brummend aufstand, sich zum Schein auf sie stürzte und sich dann in der Küche Wasser über Gesicht und Schultern spritzte. Draußen warteten sie auf ihn, an die Wand gelehnt, Beine gespreizt, Hände hinter dem Rücken. Als er erschien, nahmen sie Haltung an, und er inspizierte ihre Schuhe und Hemden und sah nach, ob sie ihre blauen Schultaschen ordentlich gepackt hatten. Dann gab er jedem zehn Rupien, und damit war der Appell beendet. Die beiden Jungen gingen vor ihm die Straße hinunter. Mohit freute sich über seine zehn Rupien, für Rohit aber waren es, wie Katekar wußte, neuerdings »nur« zehn Rupien, und er sehnte sich nach allem, was man für zehn Rupien nicht bekam. Ein Motorroller bog vorsichtig um die Ecke, und die Jungen traten zur Seite, um ihn vorbeizulassen. In der Morgensonne sah Katekar den goldenen Flaum auf Mohits Wange und wandte rasch den Blick ab; Angst vor der Zukunft bedrückte sein Herz.
    »Papa?«
    »Schnell, schnell«, sagte er, »sonst verpassen wir den Bus.«
    Nachdem er sie in den Hundertachtziger-Bus gewinkt und zugeschaut hatte, wie sich das Fahrzeug in den dichter werdenden Verkehr einfädelte, kaufte Katekar ein Exemplar von Loksatta , faltete es zusammen und klemmte es sich unter den Arm. Während er mit einer wassergefüllten Dose zwischen den Füßen an der öffentlichen Toilette Schlange stand, las er darin. Bombenanschlag in Israel, vier Tote. Schußwechsel an der Demarkationslinie, Lage in Srinagar angespannt. Trickbetrügerin erbeutet Schmuck von Hausfrauen in Ghatkopar. Führungsspitze der Kongreßpartei dementiert interne Machtkämpfe. Ein Beitrag auf der Titelseite berichtete, wie Gaitonde in seiner langen Laufbahn immer wieder haarscharf entkommen war. Warum er sich umgebracht hatte, fragte der Verfasser, ohne eine Theorie dazu aufstellen zu können. Um Katekar herum wurde geschwatzt und gelacht, aber alle wußten, daß man

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