Der Pate von Bombay
sie. »Ich wußte gar nicht, daß Polizisten erröten können. Aber du brauchst nicht zu gehen. Möchtest du dich waschen?« Sie deutete mit dem Kopf auf die Tür hinter Sartaj.
»Waschen?« Sie hatte recht, er war errötet. Er spürte die Hitze auf der Brust und am Hals. Er war nie schüchtern gewesen, aber jetzt war ihm die Vorstellung, sich hinter der dünnen Holztür ausziehen zu müssen, unerträglich.
Doch Mary ließ sich nicht beirren. »Komm schon«, sagte sie bestimmt. »Ich geb dir ein Handtuch. In der Zwischenzeit wärme ich das Essen auf.«
Sartaj zog an der Wohnungstür seine Schuhe aus, überlegte es sich dann anders und stellte sie draußen auf den Treppenabsatz. Er steckte seine braunen Socken tief in die Schuhe und lächelte Mary an.
»Nimmst du den ab, deinen ...?« fragte sie und reichte ihm ein grünes Handtuch.
»Pagdi. Meistens.«
»Also?«
Er setzte sich auf den Stuhl am Fußende ihres Bettes und wickelte seinen Turban ab. Mary schaute interessiert zu. Er hatte das lange nicht mehr vor einer Frau getan. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, und seine "Wangen glühten.
»Wie lang der ist«, sagte Mary. »Ganz schön viel, was du da auf dem Kopf trägst.«
»Man gewöhnt sich dran.« Sartaj wickelte die lange blaue Stoffbahn um Hand und Ellbogen. »Wie der Sari bei den Frauen, nicht?«
Mary nickte. »Und, habt ihr sie geschnappt?«
»Wen?«
»Die Frau, die die andere erpreßt hat.«
Sartaj erstarrte. Wut stieg in ihm auf und ein unerklärlicher Anflug von Scham, sein Magen krampfte sich zusammen. Männer sind Schweinehunde, dachte er, Rakshasas. Am liebsten hätte er ihr gar nicht gesagt, wer der Apradhi war, aber er würde nicht darum herumkommen. Er wand ein weiteres Stück Stoff um seinen Arm und holte tief Luft. »Nein, wir haben nur einen von ihren Handlangern geschnappt. Aber wir wissen jetzt, wer der Erpresser ist. Der Kerl, den wir gefaßt haben, hat uns alles gesagt.«
Mary klatschte in die Hände, einmal, zweimal. »Sag schon, wer ist es?«
Sartaj schüttelte den Kopf. »Es ist der Freund«, sagte er.
»Welcher Freund? Wessen Freund?«
»Kamalas Ex-Freund. Der Pilot. Umesh.«
»Moment, Moment. Der gutaussehende Mann? Den du auch kennengelernt hast?«
»Genau der.« Sartaj stand auf und legte den zusammengefalteten Turban feierlich auf den Stuhl. »Der Typ, den wir heute aufgespürt haben - seine Mutter hat bis zu ihrem Tod bei der Familie des Piloten gearbeitet. Deswegen hat ihn der Pilot für den Job angeheuert. Zum Anrufen und Geldabholen.«
Marys Miene war jetzt ausdruckslos und undurchdringlich. »Die Frau zu erpressen, die«, sagte sie, »die ...« Sie wandte sich angespannt ab.
»Umesh hat einen teuren Geschmack«, sagte Sartaj. »Er hat wohl zuviel Bargeld in Kamalas Handtasche gesehen und sich gesagt, daß er was davon braucht.«
»Und was hast du jetzt vor?«
»Ich weiß nicht. Verhaften können wir ihn nicht, weil es kein offizieller Fall ist. Wir haben uns noch nicht entschieden.«
Mary zupfte ein Fädchen von ihrem T-Shirt und schnippte es fort. »Verprügelt ihn«, sagte sie. »Verprügelt ihn.«
»Ja.« Sartaj wußte nichts mehr zu sagen. Marys Schultern unter dem feinen gelben Stoff waren erschlafft.
»Du kannst meine Duschhaube benutzen«, sagte sie. »Wenn du willst.«
»Okay.« Sartaj war froh, ins Bad zu entkommen. Er hatte den Kloakengestank des Verbrechens in Marys Wohnung getragen und sie aufgeregt. Ihr Zorn schloß den Schmerz eigener Erfahrung ein. Er war kein sehr erfolgreicher Verehrer, dachte er, als er die Tür zu dem winzigen Badezimmer hinter sich schloß. Auf einem Sims unter der Lüftungsklappe standen Shampoos, Lotions und Seifen, und die beiden Haken an der Tür waren mit Handtüchern und Kleidungsstücken bepackt. Sartaj wollte sein verschwitztes Hemd nicht über Marys Nachthemd hängen, und so nahm er - behutsam, ganz behutsam - das Nachthemd mit den Fingerspitzen ab und hängte es über das Handtuch am anderen Haken. Dann knöpfte er sein Hemd auf. Auch Kamble hatte den Piloten verprügeln wollen, nachdem Anand Agavane ihnen gesagt hatte, wer der Erpresser war. Er war fuchsteufelswild geworden. Am liebsten hätte er Umesh auf der Stelle aus dem Cockpit gezerrt oder wäre zu ihm nach Hause gegangen und hätte ihm mitten in seinem Kinoraum eine Abreibung verpaßt. Seine Heftigkeit hatte Kazimi und Sartaj gleichermaßen überrascht, und schließlich hatte Kazimi gesagt: »Wieso wollen Sie ihn verprügeln, Bhai? Der Bastard hat
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