Der Pate von Bombay
vielleicht doch ein bißchen zu vertraulich war, ließ meine Hand los und trat zurück. Doch in seinen Augen leuchtete Sympathie auf, und er konnte sich nicht bremsen. »Keiner weiß, was das maderchod Publikum will, Bhai. Alle tun so, als wüßten sie es, aber keiner weiß es. Man kann einen großen Film machen und haufenweise Geld für die Publicity ausgeben, und trotzdem läßt er das Publikum kalt. Und gleichzeitig bringt irgendein schlampig produziertes B-Movie ohne nennenswerten Plot hundert Crores ein.«
»Aber Sie versuchen dennoch vorherzusagen, was das Publikum will. Und Sie haben all diese Regeln im Kopf. Warum nur vierzig Szenen vor der Pause? Warum nicht sechzig?«
»Unmöglich, Bhai. Das Publikum ist unberechenbar, aber zugleich ist es sehr starr. Es will nur das, was es will, und zwar so wie immer. Selbst bei einem richtigen Dhansu-Film 165 ist das so - wenn man die Form der Geschichte verändert, werfen die Zuschauer Sachen an die Leinwand, machen die Sitze kaputt und randalieren. So ist das, Bhai. Man muß Neues auf die alte Weise machen. Oder Altes in neuem Gewand. Der Film muß anders sein, aber wiederum auch nicht zu anders. Die Avantgarde-Filmer behaupten immer, ihre Filme wären das Neuste vom Neuen, aber auch die müssen sich an gewisse Regeln halten. Sie drehen einfach für ein anderes Publikum. Aber den Regeln an sich entkommt man nicht.«
»Wir werden keinen verdammten Avantgarde-Film machen«, knurrte ich. Ich gedachte dreißig Crores in diesen Film zu investieren. Wir hatten bereits zwei Kinoidole unter Vertrag, und am kommenden Dienstag hatte Dheeraj einen Termin mit Amitabh Bachchans Sekretärin. Außerdem hatte ich Dheeraj gesagt, daß ich großartige Spezialeffekte wollte und erstklassige Kostüme und Locations. Ich wollte, daß der Film groß und glanzvoll daherkam, gewaltig. Und »gewaltig« kostet Geld, sehr viel Geld. Ich tat das alles für Zoya, aber ich wollte mein Geld zumindest wieder reinholen. »Vergessen Sie die Avantgarde«, sagte ich zu Manu. »Schreiben Sie mir einen Thriller, der richtig Tempo hat. Packen Sie in jede Szene irgend etwas, was dem Publikum das Gefühl vermittelt, es hätte ein Stromkabel um die Golis. Halten Sie die Leute wach, erzeugen Sie Spannung. Geben Sie es ihnen, und zwar hart und schnell.«
Er nickte heftig. »Ja, Bhai, ja. Ich verstehe. Action, Dramatik und eine satte Portion Glamour.« Er breitete die Arme aus. »Emotional wie Mother India, monumental wie Sholay, rasant wie Amar Akbar Anthony. Das ist es, was wir wollen.«
Das war es, was wir wollten.
Ich arbeitete weiterhin für Mr. Kumars Leute. Mr. Kumar selbst war ein Jahr zuvor in den Ruhestand gegangen, ungeachtet meiner Proteste. »Warum müssen Sie denn aufhören, Saab?« hatte ich gefragt. »In unserer Branche setzt man sich nicht zur Ruhe, man ruht sich allenfalls aus.«
»Ganesh, meine Branche ist nicht Ihre Branche.«
So war er immer, knapp und unverblümt. Aber er war nicht unfreundlich, dieser gerissene alte Werfer, der lange auf diesem Spielfeld im Einsatz gewesen war. Wir waren keine Freunde, aber wir hatten im Laufe der Jahre nicht nur einander, sondern auch unseren jeweiligen Bedarf verstehen gelernt. Er brauchte mich, damit ich ihm Informationen aus Kathmandu, Karatschi oder Dubai beschaffte und gelegentlich jemanden für ihn aus dem Weg räumte. Ich wiederum brauchte ihn, damit er auf bestimmte Polizisten in Delhi und Mumbai Druck ausübte, mir seinerseits Informationen zuspielte und mich hin und wieder logistisch oder finanziell unterstützte. Keiner von uns machte sich Illusionen über den anderen, aber wir gingen entspannt miteinander um, wie Nachbarn, die zusammen alt geworden waren. Jetzt versuchte ich ihm also zu erklären, daß er noch nicht alt genug war, um der Welt zu entsagen. »Saab, wenn die Regierung Sie jetzt, wo Sie auf der Höhe Ihrer Fähigkeiten sind, in den Ruhestand schickt, einen phantastischen Khiladi wie Sie, dann sind die schlichtweg nicht ganz richtig im Kopf.«
»Es ist nicht nur die Regierung, Ganesh, ich selbst möchte mich endlich mal zurücklehnen und ausruhen.«
»Na gut, Saab, dann lehnen Sie sich zurück, und telefonieren Sie mit mir. Wie ein Berater, verstehen Sie?«
»Ich soll für Sie arbeiten?« fragte er, hörbar amüsiert.
»Mit mir zusammenarbeiten.«
»Nein, Ganesh, ich habe genug getan, und ich bin müde.«
Er war nicht unhöflich, und ich war nicht beleidigt. »Aber was werden Sie dann tun?«
»Lesen. Nachdenken. Wie
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