Der Pate von Bombay
Standard gesetzt.«
Er sprach mit einer Ernsthaftigkeit über Naajayaz und Parinda , als ginge es um das Wesen Gottes oder die Geschichte der Welt. Tatsächlich bedeuteten Filme für ihn die Welt. Er war in einer ruhigen kleinen Wohnung aufgewachsen, mit einer Schwester und einem Bruder, hatte ein farbloses, untadeliges Leben geführt. Doch gleichzeitig war in seinem Innern dieses kleine Etwas herangewachsen, dieser Wurm, diese Python, die Filme verschlang, um sich am Leben zu halten, sie komplett verschluckte und für immer in sich behielt. Wenn man ihm nur den geringsten Vorwand lieferte, ließ er sich eine Stunde lang über Mughal-e-Azam 430 aus. Doch ihm irgendeine Auskunft über seine eigene Mutter zu entlocken gelang mir erst nach massivem Drängen. Und selbst dann kam nicht mehr als: »Was soll ich sagen, Bhai? Sie ist Hausfrau. Sie hat sich um uns gekümmert.«
Trotz all seiner neugierigen Begeisterung für die Glücksund Leidensgeschichten anderer Menschen fand er über seine Mutter nicht mehr zu sagen als das. Doch ich hatte ohnehin nur ein bißchen Smalltalk zum Thema Familie machen wollen, eine Gesprächsführungsstrategie, die ich von Guru-ji gelernt hatte. Und Manu Tewari fühlte sich jetzt hinlänglich wohl. Es war an der Zeit, zur Sache zu kommen. »Gut«, sagte ich. »Dann wollen wir mal über den Plot reden.«
Er richtete sich auf. Wenn es um die Arbeit ging, war er sofort voll konzentriert, bei diesem ersten Mal genau wie bei allen folgenden Gelegenheiten. »Ja, Bhai«, sagte er. »Ich bin ganz Ohr.«
Wir schipperten gerade vom Kata Beach nach Patong. Im Grau des späten Nachmittags glitt das Meer glasig unter uns hinweg. Im Osten stand eine hoch aufragende Wolkenbank am Himmel, still, vollkommen und unwirklich. Ich holte tief Luft. »Ich dachte an einen Thriller«, sagte ich.
»Ja, Bhai«, antwortete Manu. »Sehr gut. Ein Thriller.«
»Ich mag Filme, in denen irgendeine Gefahr besteht und der Held diese Gefahr abwenden muß.«
»Eine Suspense-Story. Gefällt mir, Bhai.«
»Das Mädchen hilft dem Helden, und sie verlieben sich ineinander.«
»Natürlich. Und es wird ein internationaler Thriller, damit es einen Grund gibt, die Songs im Ausland aufzunehmen.«
»Ein internationaler Thriller, genau.« Ich begann den Burschen zu mögen.
»Haben Sie irgendwelche Vorstellungen zu dem Helden, Bhai? Was für ein Mensch ist er? Ein normaler Bürger? Ein Polizist? Ein Geheimagent?«
»Nein. Er ist einer von uns.«
»Sie meinen ...?«
»Es ist ein Unterwelt-Thriller.«
»Okay, okay. Ich sehe die Geschichte vor mir. Der Held steht auf der falschen Seite des Gesetzes, aber es waren die Umstände, die ihn in die Unterwelt getrieben haben.«
»Ja. Der Film soll damit anfangen, wie er nach Bombay kommt.«
»Klar, klar«, sagte Manu. Doch er blickte zweifelnd drein.
»Was ist?« fragte ich.
»In einem Thriller, Bhai, haben wir vielleicht nicht genug Zeit, um seine ganze persönliche Geschichte zu berücksichtigen.«
»Warum denn nicht? Wir haben drei maderchod Stunden.«
»Stimmt, Bhai, stimmt. Aber Sie werden überrascht sein, wie schnell diese drei Stunden ausgefüllt sind. Es gibt fünf, sechs Songs, die nehmen zusammen schon mal gut vierzig Minuten in Anspruch. Das läßt uns Zeit für etwa vierzig Szenen vor der Pause und noch mal dreißig, fünfunddreißig danach. Außerdem muß ein Thriller mit der Gefahr beginnen, man muß dem Publikum zeigen, wovor es Angst haben muß, was auf dem Spiel steht, und dann muß sich der Film rasant auf das Finish zubewegen. Außerdem ...«
»Was?«
»Der Junge, der nach Bombay kommt und zum Verbrecher wird - das hat es schon mal gegeben. In Satya . Und auch in Vaastav wurde das Thema ›Eintritt in die Unterwelt abgehandelt.«
»Das ist mir egal. Es geht schließlich um eine wahre Geschichte. Schauen Sie sich doch nur meine Jungs an.«
»Natürlich, Bhai. Sie haben mir alle ihre Geschichte erzählt. Aber wissen Sie, es findet da eine gewisse Gewöhnung statt. Beim ersten Mal ist das Publikum begeistert. Beim zweiten Mal nicht mehr ganz so sehr. Und beim dritten Mal sagen sie: ›Das ist einfach zu filmi, Yaar‹, und wollen nichts mehr von der Wahrheit wissen. Verstehen Sie?«
Ich verstand. Ich hatte selbst schon so reagiert. »Das Publikum ist eine Pest«, sagte ich.
Woraufhin er aufsprang und meine Hand ergriff. »Ja, Bhai, ja, das Publikum ist ein Gaandu, ein Irrer, ein Monsterbaby, das gefüttert werden will.« Dann wurde ihm bewußt, daß er
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