Der Pate von Bombay
Illusion des Todes hinauszublicken, durch den Schleier des Schmerzes, der sich über ihn senkte, hindurchzusehen, und jetzt kann er an sie denken, ohne etwas anderes als Zuneigung und Freude zu empfinden.
Suryakant Trivedi ist also geistesabwesend und etwas unaufmerksam, als Milind hereinkommt. Milind ist zweiundzwanzig, ein gutaussehender, großer Bursche mit offenem Gesicht. Er begrüßt Trivedi überschwenglich und stellt eine unförmige Sporttasche zwischen sie auf den Boden.
»Alles friedlich?« fragt Trivedi.
»Ja, Sir. Keinerlei Probleme.« Milind ist in London geboren und war nur fünfmal in Indien, nie länger als zwei Monate. Doch er spricht ein orthodoxes, makelloses Hindi. Er stammt aus einer alten Jana-Sanghi-Familie, sein Großvater war ein bedeutender Sanskrit-Professor an der Benares Hindu University. In einem gebildeten und frommen Umfeld aufgewachsen, ist er überzeugter Patriot. Trivedi kennt er als einen der Führer der kleinen, aber fanatischen Partei Akhand Bharat, und er glaubt, Trivedi sei in London, um die Organisation auszubauen und die Botschaft zu verbreiten. Er ist nur zu gern bereit, die geheimen Aufträge auszuführen, die Trivedi ihm erteilt. Er findet es richtig spannend, eine Tasche beim Fundbüro in der King's Cross Station abzuholen, sie umgehend zu Trivedi zu bringen und dabei stets vorsichtig und wachsam zu sein.
Trivedi erkennt das alles, und deshalb erfindet er sorgsam austarierte Gefahren, vor denen sich Milind etwas fürchten muß, und aufregende Geschichten. Er erzählt Milind, die Tasche enthalte militärische Dokumente aus einem gewissen östlichen Land, die er an seine Kontaktpersonen bei der heimischen Regierung weiterleiten werde. Trivedi bezahlt Milind in guten englischen Pfund für seine Mühen, und bisweilen schenkt er ihm etwas, eine Uhr, einen mäßig teuren Kugelschreiber. »Trink einen Kaffee«, sagt er jetzt. »Er ist köstlich.«
Milind trinkt statt dessen eine Cola und dann noch eine. Da ihm eingeschärft worden ist, nie von ihrer Arbeit zu sprechen, während er sie ausführt, redet er über die englische Politik. Trivedi verfolgt die Wahlen in England nicht, deshalb hat er nur eine äußerst vage Vorstellung, wovon der Junge redet, doch er nickt, wirft gelegentlich etwas ein und wartet, bis sich Milind die Aufregung von der Seele geredet hat. Er trinkt einen weiteren Cappuccino und freut sich an der Ironie des Coups, den er - nicht zum ersten Mal - für Guru-ji gelandet hat. Die Sporttasche enthält Geld, zehn Lakhs in Fünfhundert-Rupien-Scheinen. Und der Herkunftsort der druckfrischen Banknoten macht diesen Triumph besonders pikant. Trivedi hat drei Sicherungen zwischen sich und der Quelle eingebaut. Da ist Milind, dann ein weiterer Botenjunge namens Amir und schließlich noch eine geheime muslimische Extremistengruppe namens Hizbuddin. Diese Gruppe ins Leben zu rufen war Guru-jis Idee. Doch der Name stammt von Trivedi. Sein Urdu ist ziemlich gut, und er kam schnell darauf: Hizbuddin, die Armee des Letzten Tages. Guru-ji gefiel der Name sofort, und er hat Trivedi für sein schnelles, präzises Denken gelobt. Es ist genau die Art Name, den eine solche Organisation sich geben würde. Eine erfundene extremistische Islamistengruppe ist für Guru-jis Zukunftspläne unverzichtbar. Doch über die Hizbuddin Geld anzunehmen war wiederum Trivedis Idee. Schließlich ist es eines der Hauptziele einer solchen Organisation, Geld aufzutreiben. Die Hizbuddin sammelte also Geld für ihre Aktivitäten, und als durchsickerte, daß auch die Pakistanis gern etwas beisteuern wollten, war die Ironie dieser Tatsache die bei weitem größte Belohnung für all die Arbeit, die Trivedi im Laufe der Jahre geleistet hatte. In der pakistanischen Botschaft in London gibt es einen Mann namens Shahid Khan, der als Erster Sekretär geführt wird, aber ganz offensichtlich Nachrichtenoffizier ist. Vor acht Monaten hat dieser Shahid Khan einen Kontakt zur Hizbuddin hergestellt, und seither pflegt er diese Beziehung, bietet der Gruppe Ausbildungsmöglichkeiten, Ressourcen, Geld. Anfang der Woche haben die Pakistanis nun Geld an die Hizbuddin gezahlt, von wo aus es zu Amir gelangte, der es wiederum für Milind deponierte, und jetzt hat Trivedi es. Er wird einen Teil davon an Kalki Sena weiterleiten, denn die Gruppe braucht viel Geld, um Waffen zu kaufen, Leute zu rekrutieren und Materialreserven anzulegen. Um auf den Letzten Tag vorbereitet zu sein. Trivedi betrachtet Kalki Sena als den
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