Der Pate von Bombay
angefangen.«
»Ja.«
»Und das bedeutet ... daß sie irgendwann auch enden wird.«
»Das muß sie. Bevor sie wieder neu geboren werden kann.«
Die Spannungen und Konflikte auf dieser Welt würden sich also steigern, einen perfekten Bogen beschreiben, schließlich in einer gewaltigen Explosion kulminieren und dann - nichts. Ich hatte schon früher vom Weltuntergang reden hören, hatte Filme über die verschiedensten Katastrophen gesehen, aber das alles war mir nie realistisch erschienen. Doch jetzt war dieses Ende bei mir angekommen, es saß in meiner Magengrube, hart und schwer wie ein Diamant. Es war real. »Es wird so kommen«, sagte ich.
»Es ist unvermeidlich. Deshalb ist auch in all den großen religiösen Traditionen vom sicheren Untergang die Rede. Pralay, Qayamat, Apokalypse. Aber hab keine Angst, Ganesh. Die Angst wurzelt in dem kleinen Ego, in dem du gefangen bist. Doch du bist unendlich viel größer. Und aus der größeren Perspektive gesehen, gibt es keinen Grund, Angst zu haben.«
Ich wußte, daß er es gut meinte, doch seine Worte trösteten mich nicht. Gut, theoretisch konnte ich mir vielleicht vorstellen, ein fernes, leidenschaftsloses Auge zu sein, das hoch über dem Boden schwebte, auf dem ich ging, und alles erfaßte - mit Wohlgefallen -, was jenseits meiner körperlichen Wahrnehmung lag, jenseits des Horizonts. Doch in diesen Zustand hineinfühlen konnte ich mich nicht. Nein. Ich verabschiedete mich von Guru-ji, legte mich wieder hin und stellte mir dieses große Zusammenspiel voneinander abprallender und dabei stets vorwärts strebender Ereignisse vor, vorwärts strebend zu Feuer und Wasser und schließlich zur Vernichtung. Ich hatte einen trockenen Mund, stützte mich auf den Ellenbogen, griff nach meinem Wasser. Als ich das Glas wieder auf den goldenen Untersetzer stellte, ertönte ein leises Klirren, das in meinem Kopf zum Dröhnen wurde. Meine Hände zitterten. Alle Bewegungen flössen ineinander, jede Handlung trieb die nächste an, eine leichte Kräuselung wurde zur Welle und dann zum reißenden Strom, der über den unvermeidlichen Abgrund schoß. Vielleicht hatte uns ja sogar dieses leise Klirren einen kleinen Schritt näher zum Donner des Jüngsten Tags geführt. Ein Geräusch explodierte in meinem Innern, vielleicht mein Puls, vielleicht der Widerhall von etwas anderem, das Anfang und Ende in sich barg, Geburt und Leben und den allvernichtenden Tod.
Menü
Exkurs:
Fünf Fragmente, über die Zeit verstreut
I
S uryakant Trivedi trinkt in einem Café in der Nähe des Britischen Museums einen Cappuccino. Er ist inzwischen schon fast zwei Jahre in England, und dies ist die einzige Untugend des Vilayat, die er übernommen hat. Sonst hat er keiner einzigen Versuchung, keinem Druck nachgegeben. Er kleidet sich genau wie in Meerut, trägt lange gestärkte Kurtas und nüchterne Pyjamas. Nur im Winter gesteht er sich manchmal Thermounterwäsche zu, die ihm sein in St. Louis lebender Sohn aus Amerika schickt. Sein ältester Sohn, bei dem er hier in Hounslow wohnt, sorgt sich, weil er in solch unübersehbar fremdländischer Kleidung mit der U-Bahn fährt, aber Trivedi weiß, daß er durch ein modisches Jackett nicht weniger indisch aussähe. Und falls ihn irgendwelche Rowdys überfallen sollten - er hat keine Angst vor Verletzungen oder dem Tod. Guru-ji hat ihn gebeten, für eine Weile in London zu leben, um dort zu tun, was getan werden muß, und Trivedi verdankt Guru-ji alles. Selbst jetzt, während er zusieht, wie die Touristen in der hellen Maisonne vorübergehen, spürt er Guru-jis Gegenwart. Diese ständige Unterstützung ist mehr als beruhigend, sie ist das Fundament, auf dem er sein ganzes Leben aufgebaut hat. Nur wer selbst einen solchen Guru hat, kann verstehen, daß dieser nicht nur Lehrer, sondern zugleich auch Vater und Mutter und Freund ist und daß schon allein der Gedanke an ihn Hindernisse aus dem Weg räumt und Furcht bezwingt. Doch im Moment kann von Furcht keine Rede sein, der Cappuccino ist sehr heiß, so wie Trivedi ihn mag, und der Milchschaum mit dem darübergesprenkelten Mokka ist köstlich. Er hält den Schaum einen Moment lang genüßlich auf der Zungenspitze, dann läßt er ihn nach hinten gleiten. Trivedi fühlt sich faul und zufrieden und gestattet sich, an seine Frau zu denken, die 1987 an kongestivem Herzversagen gestorben ist, die ihm viele Kinder geschenkt hat und dann plötzlich von ihm gegangen ist. Mit Guru-jis Hilfe gelang es ihm damals, über die
Weitere Kostenlose Bücher