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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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India, wo ein unauffälliger schwarzer Fiat wartete. Sie stiegen ein, Sartaj hinten links, und fuhren los. Niemand sagte etwas. Sie fuhren im Kreis, am Metro vorbei und wieder zurück zur N. D. Road, Sartaj sah die vertrauten Straßen vorübergleiten. Papa-ji hatte einen großen Teil seiner beruflichen Laufbahn hier verbracht. Er hatte ihn als Kind auf Spaziergänge in seinem Revier mitgenommen und ihm Orte gezeigt, an denen Verbrechen begangen und Apradhis festgenommen worden waren. Sie bogen nach links ab, dann wieder nach rechts, und Sartaj sah den kleinen Technicolor-Tempel, den er so geliebt hatte, die Wände voller leuchtend bunt bemalter Götter- und Göttinnenfiguren. Papa-ji und er hatten sich immer dort getroffen, »am Tempel«, unnötig zu sagen, an welchem.
    Aber die Geschäfte von damals gab es nicht mehr. In der Gasse, in die sie einbogen, erkannte Sartaj kein einziges wieder, nur das Gewühl der Motorroller und Fahrräder war das gleiche geblieben. Es waren auch mehr Menschen unterwegs als früher, selbst noch um sechs Uhr abends. »Da sind wir«, sagte der Fahrer, und sie hielten an.
    Bibis Leute führten Sartaj durch eine schmale Gasse an die Rückseite eines Fischrestaurants. Sie stiegen eine Treppe hinauf, auf der es nach fauligem Fisch roch, dann öffnete sich eine Tür, und sie betraten einen winzigen Raum, offenbar eine Art Buchhaltungsbüro. In den deckenhohen Regalen lagen Geschäftsbücher, und an den eng beisammen stehenden Schreibtischen saßen fünf oder sechs Angestellte vor ihren Bildschirmen. Rechts hatte man durch ein Zwischengeschoß mit drei kompletten, gleichsam in der Luft schwebenden Arbeitsplätzen noch einmal ebensoviel Raum gewonnen. Einer der Männer zeigte auf eine in den spitz zulaufenden hinteren Teil des Zimmers gezwängte Kabine. Sartaj öffnete die Tür und mußte beim Eintreten den Kopf einziehen.
    Iffat-bibi saß mit gekreuzten Beinen auf einem roten Chefsessel in der Spitze des Dreiecks. Sie hatte ihre Burka abgelegt, so daß man ihr jugendlich dichtes, hennagefärbtes Haar sah. »Kommen Sie rein, kommen Sie rein«, sagte sie. »Are, Munna, bring Tee für Saab.« Sie deutete auf einen Sessel, der fast so pompös war wie ihr eigener, und klappte das Hauptbuch zu, das sie studiert hatte. »Sollen wir die Klimaanlage höherstellen, Saab? Hier drin ist es so kalt, daß man schier erfriert, aber Sie sind ein junger Mensch, und die Jungen mögen es so.«
    »Nein, nein, nicht nötig. Es ist kühl genug.«
    Sie saßen in dem engen Raum nahe beieinander, und Iffat-bibi sah genauso aus, wie Sartaj sie sich vorgestellt hatte. Sie war groß und kräftig, mit einem kantigen Kinn und jugendlich glatter Haut. Beim Anblick ihres zahnlosen Mundes unter den wachen Augen und der scharfen Nase aber erschrak man ein wenig. Sartaj konnte sie sich nicht als junge Frau vorstellen. Vielleicht war sie die letzten hundert Jahre gleich alt geblieben. Jedenfalls sah sie aus, als könnte sie mindestens noch weitere hundert Jahre leben.
    »Was möchten Sie essen, Saab?«
    »Nichts, Bibi. Bitte, wir müssen über Ihre Informationen sprechen. Diese Männer sind hochgefährlich.«
    »Gefahren gibt es immer, Saab. Daran ändert sich auch nichts, wenn Sie sich ein Essen entgehen lassen.« Es klopfte an der Mattglastür, dann stellte ein Junge eine dampfende Tasse Tee vor Sartaj hin. »Hol noch Tandoori machchi für Saab. Und diese besonderen Jhinga 294 .«
    Sartaj lehnte sich zurück und überließ sich den Ritualen der Gastfreundschaft. Der Weltuntergang mußte warten, er stand seit Monaten bevor, und er würde endgültig sein. Iffat-bibi war unerbittlich in ihren Höflichkeitsbezeigungen. Widerspruch brachte nichts, besser man fügte sich und ließ es sich gut gehen. »Also, Bibi«, sagte er, »was wissen Sie?«
    Iffat-bibi verlagerte ihren massigen Leib in dem Sessel von der einen auf die andere Hüfte. »Ich bin eine alte Frau, Saab, ich komme nicht viel raus. Heute bin ich nur hergekommen, um ein paar Konten zu überprüfen.« Doch dann erzählte sie Sartaj von irgendwelchen kleinen Taporis, von Killern rivalisierender Organisationen und gewissen Bardamen. Das Essen kam, und Sartaj nahm von jedem Gericht einen Anstandshappen. Seine Schläfen pochten. Die kalte Luft strich ihm über Wangen und Nacken, und plötzlich überfiel ihn eine Vorahnung, die sich in seinen Schenkeln festsetzte, so daß sie sich verkrampften. Er lehnte sich zurück, versuchte sich zu entspannen und machte

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