Der Pate von Bombay
wischte sie an seinen Hosenbeinen ab und versuchte sie ruhig zu halten. »Er wird zu Ihnen zurückkommen. Wenn Sie wollen, rede ich mit ihm.«
»Nein, er redet nicht mal mehr mit uns. Er geht nicht ans Telefon, wenn ich ihn anrufe. Auch nicht, wenn Bhai ihn anruft. Können Sie sich das vorstellen?«
Das konnte Sartaj nicht. Anrufe von Suleiman Isa höchstpersönlich nicht entgegenzunehmen - das bedeutete, daß Parulkar wirklich zu neuen Ufern aufgebrochen war, daß er Jahre seines Lebens zusammengepackt und eine hochgefährliche Grenze überschritten hatte. Sartaj wollte es nicht glauben, aber es paßte alles zusammen: Parulkars Rehabilitierung unter der derzeitigen Rakshak-Regierung, die plötzlichen Erfolge beim Aufspüren von Mitgliedern der S-Company. »Lassen Sie's gut sein«, sagte Sartaj. »Verzeihen Sie ihm. So wie bei dieser Geldsache.«
»Zu spät. Er hat schon zuviel kaputtgemacht.« Sie zeigte zur Decke und schüttelte den Kopf. »Der Befehl kommt von oben. Bhai ist sehr böse, Bhai ist gekränkt. Bhai hat es gesagt. Parulkar muß raus aus seinem Amt, weg von der Polizei. Bas.«
Das war es also, Parulkar sollte gehen. Er war aus diesem letzten Kampf als triumphierender Überlebender hervorgegangen, und er hatte es geschafft, indem er sich von alten Freunden abwandte. Jetzt würden sie ihn erledigen. »Warum sagen Sie mir das alles?«
»Sie stehen ihm sehr nahe.«
»Ja. Und?« Sartaj kannte die Antwort, er redete nur, um Zeit zu gewinnen, ein törichtes Manöver, der schwache Versuch, nicht in eine sehr enge, sehr dunkle Ecke gedrängt zu werden.
»Sie können uns helfen.«
Sartaj schloß die Augen. Sein Herz klopfte zum Zerspringen, er war wieder ein kleiner Junge, der im Dunkeln darauf wartet, daß die Monster von ihm ablassen, daß jemand kommt und ihn von seinem Kummer erlöst, daß der Schlaf ihn der Angst entreißt. Er versuchte sich zu beruhigen, doch jetzt stürmten wirre Erinnerungen auf ihn ein, Papa-ji, wie er einen Drachen in den wolkenlosen Himmel steigen ließ, Parulkar, wie er sich in Sartajs erstem Mordfall über eine Leiche beugte, eine Motorradfahrt durch den Monsunregen mit Megha, Ma, wie sie in Delhi über einen Markt schritt. Er rieb sich das Gesicht und öffnete die Augen wieder. Was soll ich bloß tun? dachte er, was soll ich bloß tun? »Sie verstehen nicht«, sagte er. »Sie verstehen nicht, daß wir morgen alle tot sein können. Alles kann aus sein. Glauben Sie mir.«
»Ich selbst glaube Ihnen ja vielleicht«, erwiderte Iffat-bibi achselzuckend, »aber die nicht, Bhai und die anderen. Sie werden das für einen Trick halten. Sie wollen Parulkar.«
»Dann vergessen Sie sie, vergessen Sie Ihren Bhai. Vergessen Sie alle. Sagen Sie mir, wo dieses Haus ist.«
»Das kann ich nicht.«
Sartaj griff an sein Pistolenhalfter. »Sagen Sie's mir!« schrie er. »Sagen Sie's mir!«
Iffat-bibi klatschte in die Hände und lachte leise. »Was wollen Sie denn mit dem Ding, Sie Irrer? Mich erschießen?«
Sartaj hielt die Pistole jetzt in der Hand. Sein Daumen glitt auf den Sicherungsbügel, er stützte sich ab und zielte auf ihr Gesicht. »Sagen Sie's mir!«
»Glauben Sie, ich hätte Angst vor dem Tod?«
»Sagen Sie's mir, oder ich schieße!«
»Ich kann's Ihnen nicht sagen, weil ich's nicht weiß. Mehr hat man mir auch nicht gesagt. Schießen Sie ruhig. Dann kommen meine Leute rein, und im nächsten Moment sind Sie auch tot. Aus und vorbei.«
Ich kann schießen, dachte Sartaj. Dann würde ich wenigstens etwas tun. Er würde ein Loch in dieses zerfließende weiße Gesicht schießen, über dem weit offenen Mund, und dann wäre er selbst tot. Was auch immer danach geschah - es ging ihn nichts mehr an, damit würden sich andere befassen müssen. Was auch immer passierte, was auch immer Parulkar, Anjali Mathur, Ma, Kamble und allen anderen passierte -es würde passieren.
Er legte die Pistole auf den Tisch, löste die Finger von ihrem Griff. »Wischen Sie sich das Gesicht ab«, sagte Iffat-bibi schroff. Sie schob eine Schachtel Papiertücher über den Tisch.
Sartaj schneuzte sich. »Okay«, sagte er. »Was soll ich tun?«
Der Zug hatte den Bahnhof Dadar kaum verlassen, da rief Kamala Pandey an. »Umesh hat mich gestern und vorgestern dreimal auf dem Handy angerufen und eine Nachricht hinterlassen«, sagte sie. »Er wollte wissen, ob Sie vorankommen. Sie haben noch nicht mit ihm geredet?«
»Nein, hab ich nicht, Madam. Ich hatte plötzlich sehr viel zu tun. Es gibt da eine ungeheuer
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