Der Pate von Bombay
Schultern. An dem mächtigen blauen Eingangstor waren weißgekleidete Sadhus postiert, die übliche Mischung von Indern und Ausländern. Nikhil hatte telefonisch ein Treffen mit Sadhu Anand Prasad arrangiert, dem Leiter von Adarsh Nagar und obersten Sadhu der nationalen Organisation. Die Wach-Sadhus tätigten mehrere Anrufe, Nikhil plauderte ein wenig mit ihnen, und ich stieg aus dem Auto, während wir warteten, und schlenderte zur Schranke vor. Das Tor war ein regelrechtes Monument, es erinnerte an jene gigantischen Wachhäuser, die am Eingang von Schlössern oder Festungen stehen und Waffenkammern, Wohnräume und sonstige Gemächer beherbergen. Guru-jis Torhaus war in einem herrlich schimmernden Blau angestrichen, es hatte zierliche abgerundete Türmchen, größere spitze Türme und kleine Balkone und schien trotz seiner Masse ganz leicht auf dem Boden zu ruhen, als sei es aus einer anderen Ära hierherversetzt worden. Es hätte den Palast von Hastinapur schützen oder vor Ravans goldener Festung stehen können. Im Innern der Anlage sah ich weite Rasenflächen mit gleichmäßig geschnittenem, dichtem grünen Gras, breite Boulevards und verstreute Gebäude, alle in Blau und Weiß. Die Straßen waren von gestutzten Bäumen und flatternden Fahnen in Rot und Orange gesäumt. Unter dem schattigen Torbogen hing der Duft der gelben Blumen, die in ordentlichen Rabatten entlang des Stahlzauns wuchsen.
»Okay, Bhai«, sagte Nikhil. »Wir können jetzt rein.«
Wir fuhren auf das Gelände, vorbei an kleinen Gruppen zielstrebig einherschreitender Sadhus. Eine unendliche Ruhe lag über diesem Park, eine Stille, die aus der Zeit gelöst schien, selbst die sich sammelnden Scharen von Abendvögeln stießen nur sanfte Laute aus. Auch Kinder spazierten über den Rasen, doch sie gingen in ordentlichen Reihen und beugten den Kopf zum Namaste, wenn jemand Älterer vorbeikam. Ich hatte diesen Ashram schon auf Video gesehen, aber er kam mir etwas kleiner vor, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Seine Anlage war jedoch perfekt - quadratisch und harmonisch. Am anderen Ende des Grundstücks stand ebenfalls ein blaues Tor, im Osten und Westen je ein weiteres, und genau dazwischen, im exakten geometrischen Mittelpunkt des Grundstücks, erhob sich eine wuchtige Stufenpyramide aus weißem Marmor, eine zum Himmel zeigende Säule. Dies war das zentrale Verwaltungsgebäude. Wir parkten davor und passierten einen weiteren Kordon von Sadhus, diesmal Sekretären. Man führte uns in eine Lounge mit niedrigen Sofas, und dort warteten wir.
Nikhil sprach schließlich aus, was wir alle dachten: »Bhai«, sagte er. »Die schwimmen im Geld hier. Vielleicht sind wir in der falschen Branche.«
»Es ist nie zu spät«, sagte ich. »Willst du eine neue Religion gründen?«
»Ja, das sollten wir machen.« Er kratzte sich die Golis. »Sie geben den großen Meister. Und ich verwalte die Finanzen.«
»Soll heißen, ich tue die ganze Arbeit, und du sahnst ab, du habgieriger Maderchod? Gib wenigstens ein paar Regeln für unsere neue Religion aus. Was ist unsere Philosophie?«
Der Chutiya hatte in Null Komma nichts einen neuen Glauben formuliert. Er fläzte sich auf das Sofa, faltete die Hände über seinem kleinen Wohlstandsbäuchlein und legte die Füße auf den Tisch. »Es gibt nur eine Regel: Man gelangt in den Besitz der Gnade, indem man Bhai Geld gibt. Je mehr man gibt, desto mehr Karma wird man los. Wer alles gibt, dem ist die Moksha gewiß.«
Die Jungs grunzten und schnaubten vor Lachen, und auch ich lächelte. Doch dieser glatte Zynismus, dieser leichtfertige Hohn taten mir im Herz weh. Guru-ji hatte zweifellos eine Menge Geld eingenommen, aber ich glaubte nicht, daß Geld sein eigentliches Ziel war. Ich behauptete nicht, zu verstehen, wie er dachte, doch ich wußte, daß er einen Plan hatte, der über das Geld hinausging, daß es jenseits der makellosen Ordnung dieses Ashrams eine Stimmigkeit gab, die umfassender war. Nur wußte ich dieses Mantra einfach nicht zu interpretieren, ich beherrschte diese Sprache nicht, ich begriff nicht, was mir dieses Quadrat mit den Kreisen darin zu sagen versuchte.
Während ich mich mit derlei religiösen und ästhetischen Rätseln herumschlug, rief uns Anand Prasads Sekretär in dessen Büro. Ich ließ Nikhil vorangehen und trat als letzter ein. Nikhil übernahm das Reden, er gab vor, der Vorsitzende eines Vereins im Ausland lebender Inder zu sein, die erwogen, Geld für Guru-jis mildtätige Aktivitäten zu spenden.
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