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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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und ich wollte ihm keine Fragen stellen, noch nicht. Die Verheißung glühte in der Luft, und es war ein Genuß, meine Zunge zu zügeln, die Erwartung, das Nichtwissen auszukosten. Wir verließen die Schnellstraße, fuhren eine Weile auf dem Zubringer, dann vorbei an einem Slum und bogen in die Dunkelheit ab. Im Licht der Scheinwerfer erstand eine staubige Straße, Bäume tauchten auf und verschwanden wieder, es war, als fielen wir in einen Tunnel. Nach einer scharfen Linkskurve veränderte sich die Straße, wir rollten knirschend über unbefestigten Boden. Am Ende des Wegs parkte ein Auto, und zwischen überhängenden Zweigen lugte das harte Schwarz eines Gebäudes hervor. Wir stiegen aus und gingen darauf zu, dann um die Ecke. Über einer Tür baumelte eine nackte Glühbirne. Auf einer Kiste neben der Tür saß Samant, seine Zigarette leuchtete rot wie ein Signal.
    »Hat zu lange gedauert«, sagte er.
    »Wegen der Anwälte und dem ganzen Drumherum«, sagte Chhota Badriya.
    Samant zog an der Tür, die sich mit einem langen metallischen Quietschen öffnete. Drinnen lag ein Mann bäuchlings auf dem Boden. Blaues Hemd, schwarze Hose, verrenkte Glieder.
    »Vilas Ranade«, sagte Samant mit einer kleinen Geste, als wollte er uns vorstellen.
    »Sie haben das allein erledigt?«
    »Er hat Brown Sugar geschnupft«, sagte Samant. »Dieser bescheuerte Bhenchod. Er hat gedacht, keiner wüßte es. Hat sich das Zeug immer allein besorgt. Ich kenne den Dealer, bei dem er eingekauft hat.«
    »Der Dealer hat Ihnen gesagt, wann Vilas Ranade zu ihm kommen würde, um sich einzudecken?«
    »Da er weiter dealen will, blieb ihm nichts anderes übrig.«
    »Sind Sie sicher, daß das Vilas Ranade ist?«
    »Ich bin ihm zweimal auf der Wache in Mulund begegnet, als ich dort stationiert war. Er hatte dort Freunde.«
    »Ich möchte sein Gesicht sehen.«
    Chhota Badriya stieg über die Leiche, zog an ihrer Schulter. Vilas Ranades Hemd war vorne schwarz und durchnäßt. Chhota Badriya hockte sich hinter ihn, und plötzlich richtete sich Vilas Ranade auf, ins Licht. Er sah schläfrig aus, hatte die Lider halb geschlossen. Den kenne ich doch, dachte ich. Er sah mir zum Verwechseln ähnlich. Ich beugte mich näher zu ihm vor. Kein Zweifel, er war mein Double. Ich wartete darauf, daß einer der anderen eine Bemerkung dazu machte, doch keiner sagte etwas.
    »Was ist denn los, Bhai?« fragte Chhota Badriya. »Gefällt Ihnen sein Gesicht nicht?«
    »Nein, ich finde, der Kerl hat eine ausgesprochen häßliche Visage.« Ich tätschelte Vilas Ranades Wange und stand auf. »Erstklasssige Leistung, Samant-saab.« Ich nahm Samants Hand und schüttelte sie heftig. Ich klopfte ihm auf die Schulter und lachte, und sie lachten alle mit, jeder einzelne von ihnen. Aber bei mir war es nur Schauspielerei. Ich gestikulierte und lachte und feierte, aber insgeheim war ich verwirrt: Was hatte es zu bedeuten, daß Vilas Ranade und ich uns so ähnlich sahen, und warum fiel es keinem der anderen auf? Was hatte es zu bedeuten, daß er und ich uns gejagt hatten wie Geister, die man im Spiegel sieht, und dann getötet hatten? Wohin führte mich dieser Zufall?
    Ich war immer noch wie benommen, als wir ins Auto stiegen. Wieder ging es durch die unbeleuchtete, lange Nacht, und kurz vor der Schnellstraße hatte ich des Rätsels Lösung gefunden: Es mußte sich um eine optische Täuschung gehandelt haben. Hätte er mir wirklich so ähnlich gesehen, dann hätte Chhota Badriya es bemerkt. Samant hätte etwas gesagt. Ich war müde von den Tagen im Gefängnis. Ich brauchte Schlaf, Erholung, gutes Essen. Es gab keinen Grund, mich zu sorgen.

    »Killer Vilas Ranade stirbt gewaltsamen Tod«, war am nächsten Tag in den Nachmittagsausgaben einiger Zeitungen zu lesen. »Warlord der Parab-Gang findet blutiges Ende.«
    Und dann vernichteten wir die Cobra-Gang. Wir überfielen ihre Jungs aus dem Hinterhalt, wir kassierten ihr Geld, wir schüchterten ihre Geschäftspartner ein, wir schlenderten durch ihre Straßen. Sicher, auch auf unserer Seite gab es Verluste, darunter mein Sunny, der inzwischen einen so inbrünstigen Kult um Pistolen trieb, daß er immer gleich zwei bei sich trug. Trotzdem erwischte ihn eine Kugel, von hinten, und er verreckte auf der Straße, in seiner eigenen Pisse. Aber es gelang uns dennoch, die Cobra-Gang aufzureiben und ihr Gebiet zu erobern. Wir waren zwar die kleinere Organisation, doch das erwies sich als Vorteil. Wir schlugen zu, verschwanden, pirschten uns von

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