Der Pate von Florenz
sich auch.
Dennoch hatte es sie wie jeden Morgen wieder hinuntergetrieben in die Werkstatt, auch wenn es nun nichts mehr zu tun gab für sie. Wenigstens wollte sie von all den Werkzeugen und Gerätschaften, die sie nun nicht mehr in die Hand nehmen durfte, umgeben sein. Hier waren der Kummer, die Einsamkeit und die Leere immer noch leichter zu ertragen als an jedem anderen Ort. Hier hatte sie bei jedem Blick auf irgendeinen Stichel oder einen Treibhammer zugleich das Werkstück vor Augen, das sie angefertigt hatte. Dass die Erinnerungen daran den Schmerz des Verlustes in ihr wachhielten, nahm sie in Kauf, waren sie doch das Einzige, was ihr geblieben war.
Wie oft hatte sie in den vergangenen Monaten darüber gegrübelt, was wohl gewesen wäre, wenn sie gleich am Anfang dem Drängen ihrer Schwester und ihres Schwagers nachgegeben hätte. Obwohl sie wusste, wie abwegig das gewesen wäre, kam sie doch immer wieder darauf zurück. Denn dann wäre ihr Vater jetzt noch am Leben und sie hätte sich nie mit Giuliano eingelassen.
Wenn doch das Schicksal Marcello nicht für so lange Zeit fern von Florenz gehalten hätte! Er hätte nicht zugelassen, dass sie sich von Giulianos schmeichelhaftem Werben blenden und sich von ihm in eine unselige Liebschaft hineinziehen ließ. Marcello hätte sie nicht im Stich gelassen und über seinen Vater hätte er nichts unversucht gelassen, um ihren Vater vor Folter und Hinrichtung zu bewahren.
Ach, Marcello!
Wie blind sie doch gewesen war! Warum hatte sie nicht gesehen und gespürt, was er für sie empfand! Es war nur ein schwacher Trost, dass er sie nicht länger mied und dass er wieder mit ihr sprach. Die Beerdigung des Vaters war der Wendepunkt gewesen. Seitdem besuchte er fast jeden Tag zusammen mit ihr die Morgenmesse in San Michele Berteide und redete hinterher noch ein wenig mit ihr, bevor er sich hinaus zur Ziegelei begab. Es waren kostbare Minuten und das erlösende Wissen, dass sie seine Zuneigung trotz allem nicht verloren hatte, half ihr ein wenig über die entsetzlich langen und leeren Stunden hinweg.
Das Klingeln der Türglocke riss sie aus ihren Gedanken. Verwundert rutschte sie vom Hocker, um nachzusehen, wer das sein konnte. Es war längst nicht mehr nötig, die Haustür verriegelt zu halten. Es konnte eigentlich nur ihre Tante sein, die vielleicht rasch etwas ins Haus brachte, was sie auf dem Markt für sie gekauft hatte, um dann eiligst wieder in den Palazzo ihrer Herrschaft zurückzukehren.
Es war jedoch nicht Tante Piccarda, die im nächsten Augenblick durch die Tür in die Werkstatt trat, sondern Marcello.
Ihr Gesicht leuchtete auf. Es war das erste Mal seit November im letzten Jahr, dass er sie wieder in ihrem Haus aufsuchte. »Marcello! Mit dir hätte ich am allerwenigsten gerechnet«, sagte sie freudig überrascht und versuchte zu scherzen, indem sie hinzufügte: »Es gibt aber leider nichts mehr, wobei du mir zuschauen oder mir sogar helfen könntest. Das alles wird wohl irgendwann ein Geselle kaufen, der nach bestandener Meisterprüfung seine eigene Werkstatt aufmachen will.«
»Ich kann mir denken, wie du dich dabei fühlen musst«, erwiderte er und rieb sich nervös die Stirn. »Aber es gibt Wichtigeres als die Werkzeuge, auch wenn sie deinem Vater gehört haben und du daran hängst.«
Sie sah ihn prüfend an. Er machte einen übermüdeten und irgendwie bedrückten Eindruck auf sie. »Was ist mit dir, Marcello? Ist etwas geschehen?«
Er nickte nur und begann, unruhig in der Werkstatt hin und her zu gehen. »Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan …«
»Hast du wieder Ärger mit Silvio?«, fragte sie mitfühlend. »Oder hast du deinem Vater vielleicht schon gesagt, dass du die Leitung der Ziegelei so bald wie möglich abgeben willst?«
»Weder noch«, murmelte er und knetete nervös die Hände.
»Aber was ist es dann?«
Marcello gab keine Antwort. In seinem blassen Gesicht arbeitete es, als würde er stumm mit sich selbst ringen. Dann blieb er auf einmal stehen, genau vor ihr. »Fiora, ich kann einfach nicht länger dagegen ankämpfen!«
»Wogegen kannst du nicht länger ankämpfen?«, fragte sie verständnislos.
»Dass ich dich liebe und dass ich mir nichts so sehr wünsche, als mit dir zusammen zu sein!«, stieß er gequält hervor.
Ungläubig starrte sie ihn an.
»Ja, das ist es, Fiora! Und es ist mir egal, was gewesen ist und dass du ein Kind von ihm bekommst. Ich kann den Gedanken einfach nicht ertragen, dass ich ohne dich leben soll!
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