Der Pate von Florenz
dass dieser ihn sogleich auf die abgelaufene Frist ansprechen und nach seiner Entscheidung fragen würde. Dass ihm dieses Hinauszögern nichts nützen würde und er früher oder später Farbe bekennen musste, war ihm nur zu klar. Dennoch wollte er die bittere Auseinandersetzung, zu der es unweigerlich kommen würde, so lange wie möglich hinausschieben.
Erst als er hörte, dass der Vater aus dem Haus ging, stand er auf und wusch sich. Obwohl es höchste Zeit war, wenn er noch pünktlich zum österlichen Hochamt in den Dom kommen wollte, trödelte er auch jetzt noch herum.
Er war mit seinen Gedanken nicht bei der Sache, weil Fiora seine Sinne beherrschte und er trotz allen Nachgrübelns noch immer nicht wusste, wie es weitergehen sollte. Er hatte Fiora noch zweimal in seine Arme geschlossen und beteuert, wie sehr er sie liebe und dass er sie nicht aufgeben werde. Gemeinsam hatten sie wieder und wieder nach einer Lösung gesucht. Dabei ging es nicht allein darum, dass Marcello sich nicht mit seinem Vater überwerfen wollte. Er wünschte sich vielmehr, er könnte ihn irgendwie dazu bringen, ihrer Verbindung seinen Segen zu erteilen.
Zwar war er bereit, ein solches Zerwürfnis auf sich zu nehmen, aber es gab ja auch ganz handfeste Probleme, vor die sie sich gestellt sahen, und Fiora wurde nicht müde, sie Marcello immer wieder vor Augen zu führen. Wovon sollte er eine Familie ernähren? Die Goldschmiedekunst konnte sie nicht ausüben, und ob er seine Stellung als Leiter der Ziegelei behalten durfte, war mehr als fraglich. All ihre Überlegungen hatten zu keinem erlösenden Ergebnis geführt und so hatten ihre Küsse und ihre Liebesbeschwörungen immer auch etwas Verzweifeltes an sich gehabt.
Erschrocken fuhr Marcello aus seinen bedrückenden Gedanken auf, als Alessio zum wiederholten Mal den Kopf zur Tür hereinsteckte. »Meine Güte, du bist ja noch immer nicht fertig!«, rief er verärgert. »Wenn du in dem Schneckentempo weitermachst, dauert es ja noch bis heute Abend!«
»Niemand hat gesagt, dass du auf mich warten musst!«, gab Marcello mürrisch zurück.
»Das werde ich auch nicht. Ich gehe jetzt zusammen mit der Mutter los. Wenn du bei der Messe hinten zwischen all dem stinkenden Landvolk stehen willst, dann ist das deine Sache. Ich jedenfalls habe keine Lust dazu.«
Im Dom würde an diesem Vormittag trotz seiner gewaltigen Ausmaße ein so dichtes Gedränge herrschen wie an kaum einem anderen Feiertag. Zum festlichen Hochamt am Ostersonntag kam stets auch das Bauernvolk aus den umliegenden Dörfern und Weilern in Scharen in die Stadt. Und dass ein junger Kardinal Florenz die Ehre seines Besuches gab und mit dem Erzbischof die Messe zelebrieren würde, zog zudem noch viele jener Bürger und Tagelöhner an, die zur Osterfeier normalerweise in die Kirche ihres Viertels gegangen wären.
Marcello hatte sich dann doch auf den Weg zum Dom gemacht. Er bekam nicht viel mit von der erwartungsvollen Stimmung, die in den Straßen der Stadt herrschte, weil sein Kopf noch immer voll war von endlos kreisenden grüblerischen Gedanken. Er ließ sich von der Menge auf den Domplatz treiben und erschrak, als ihm plötzlich jemand von hinten mit der Hand auf die Schulter schlug. Mit gerunzelter Stirn fuhr er herum.
»Donner, Blitz und Gloria, du scheinst heute ja mächtig Trübsal zu blasen! Jedenfalls machst du ein Gesicht wie saure Milch!«
Es war Silvio.
»Lass mich …!« Marcello wollte schon weitergehen, als er verblüfft feststellte, dass sein Neffe auf das Prächtigste ausstaffiert war. Alles an ihm schien neu und von bester Qualität zu sein, die Stiefel, die Beinkleider, der flaschengrüne abgesteppte Wams, der eidottergelbe Umhang und die dazu passende Kappe. Nichts davon gehörte zu der Kleidung, die Silvio bei seiner Verbannung vor die Stadt im Palazzo hatte zurücklassen müssen.
»Du scheinst heute ja allen Grund zum Feiern zu haben! Ich habe gar nicht gewusst, dass Vater dich wieder in Ehren aufgenommen und dir auch noch erlaubt hat, dich bei unseren Gewandschneidern von Kopf bis Fuß neu einkleiden zu lassen. Seit wann bist du wieder in der Stadt?« Marcello schüttelte verwundert den Kopf. Ostern war zwar ein guter Tag, um sich zu versöhnen, aber es sah dem Vater gar nicht ähnlich, dass er mit ihnen nicht über das Ende von Silvios Bestrafung gesprochen hatte.
»Vater? Der kann mir den Buckel runterrutschen! Ich habe alles von meinem eigenen Geld bezahlt!«, erwiderte Silvio stolz und stellte sich
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