Der Pate von Florenz
vorsichtig auf die rechte Seite. »Allmächtiger!«, stieß er bestürzt hervor, als er Marcellos aufgeschlitzten Wams vorsichtig auseinanderzog und die lange Wunde entdeckte.
Marcello schwanden die Sinne. Er hörte noch, wie Gismondo etwas von starkem Blutverlust rief und Angelo Poliziano aufforderte, ihm aus einer der Truhen saubere Tücher zum Verbinden zu bringen, dann verlor er den Kampf und versank in der Schwärze der Ohnmacht.
Als er wieder erwachte, spürte er ein nasses Tuch auf seiner Stirn und den Druck eines Verbandes um seinen Leib.
Poliziano hockte neben ihm. »Du musst durchhalten!«, raunte er ihm zu und gab ihm aus einem Messkelch ein wenig Wasser.
»Wie … Wie lange war ich nicht bei Sinnen, Angelo?«, stieß Marcello unter Schmerzen hervor.
Der junge Gelehrte zuckte mit den Achseln. »Nicht lange. Wenn das eigene Leben am seidenen Faden hängt, fällt es schwer, den Lauf der Zeit zu verfolgen«, sagte er und verzog dabei das Gesicht zu einem gequälten Lächeln.
Auf einmal hörte Marcello, dass nicht länger angespannte Stille in der Domkirche herrschte, sondern dass Fäuste gegen die Türen der Sakristei hämmerten und gedämpfte Stimmen auf der anderen Seite forderten, man solle die Türen öffnen und herauskommen. Die Männer beteuerten, sie seien Freunde der Medici und sie seien gekommen, um sie aus dem Dom hinaus und in den sicheren Palazzo in der Via Larga zu bringen.
»Ich bin es, Euer Freund und Weggefährte Giovanni Tornabuoni! Und an meiner Seite sind Carlo Martelli, Ludovico Masi und andere Getreue Eures Hauses! Ihr dürft keine Zeit mehr verlieren, Magnifizenz!«, rief einer der Männer. Durch die dicken Bronzetüren klang seine Stimme dumpf und verzerrt. »Jeden Augenblick können Pazzi-Truppen hier auftauchen! Ich flehe Euch an, macht auf und lasst Euch in Euren Palast geleiten!«
»Erkennt einer von euch diese Stimme wieder? Ist der Mann da draußen wirklich Giovanni Tornabuoni?«, fragte Lorenzo verunsichert und blickte in die Runde seiner Vertrauten.
Doch keiner vermochte mit letzter Sicherheit zu sagen, dass es die Stimme des getreuen Medici-Freundes und Leiters der Bankfiliale in Rom war. Es konnte ebenso gut die eines Pazzi-Mannes sein, der sie herauszulocken versuchte.
»Wir müssen Gewissheit haben!«, stieß Poliziano leise hervor. »Marcello braucht unbedingt einen Medikus, der sich seiner Wunde annimmt! Er hat viel Blut verloren. Aber wenn da draußen Pazzi-Leute stehen, wäre das Öffnen der Türen unser aller Tod …«
»Und wie sollen wir uns Gewissheit verschaffen?«, fragte Lorenzo ratlos.
Gismondo della Stufa wusste eine Lösung. »Oben, bei den Orgeln über uns, gibt es ein Guckloch, von dem aus man den Raum vor der Sakristei sehen müsste. Das dahinten ist die Leiter, die zu diesem Ausguck bei den Orgeln hinaufführt«, sagte er und deutete auf eine Eisenleiter im hinteren Bereich der Sakristei. Sofort eilte er dorthin und erklomm die Stufen.
Lange herrschte eine angespannte Stille in der Sakristei. Alle blickten erwartungsvoll zur Leiter.
Endlich kam von oben der erlösende Ruf. »Es sind tatsächlich Giovanni Tornabuoni und die anderen treuen Freunde! Und sie sind bis an die Zähne bewaffnet! Ihr könnt die Türen öffnen!«
Wenige Augenblicke später waren Lorenzo und seine Gefährten, die sich mit ihm in die Sakristei geflüchtet hatten, von mehr als zwanzig schwer bewaffneten Medici-Getreuen umgeben.
»Nichts wie raus aus dem Dom!«, drängte Tornabuoni. »Den Leichnam des tapferen Francesco holen wir später! Möge der Herr seiner Seele gnädig sein. Wir müssen uns beeilen. Auf den Straßen wird gekämpft, und je eher wir den Palazzo erreichen und das Volk erfährt, dass Ihr am Leben seid, Magnifizenz, desto besser ist es für unsere Sache!«
Marcello stützte sich auf Gismondo und Poliziano. Mit aller Kraft versuchte er, sich auf den Beinen zu halten. Obwohl er immer wieder gegen Schwindel und Benommenheit ankämpfte, entging ihm nicht, dass Tornabuoni sie nicht auf direktem Weg aus dem Dom in die Via Larga führte, sondern mit ihnen durch das Hauptschiff nach Westen hastete. Dann wandte er sich nordwärts und wählte als Ausgang die erste Seitentür, auf die sie trafen. Was der Mann damit bezweckte, war ihm trotz seines Zustandes klar: Lorenzo sollte keine Gelegenheit bekommen, einen Blick auf den schauerlich zugerichteten Leichnam seines Bruders zu werfen.
Marcello bekam noch mit, dass sie den Palazzo erreichten, ohne unterwegs auf
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