Der Pathologe
Blickfeld, aber der Pathologe gab durch kein Zeichen zu erkennen, dass er ihn bemerkt hatte. Er ignorierte Jeremy – falls er ihn überhaupt gesehen hatte.
Jeremy fand einen Tisch am entgegengesetzten Ende des Speisesaals, wo er seinen Kaffee trank und sich dabei ertappte, wie er Arthur musterte.
Jetzt sah er, warum Arthur ihn nicht bemerkt hatte. Der alte Mann war selbst damit beschäftigt, jemanden zu beobachten.
Gegenstand seines Interesses war eine Gruppe von drei Ärzten, die zwei Tische weiter bei Kaffee und Kuchen saßen. Die drei Männer schienen in eine angeregte wissenschaftliche Diskussion vertieft zu sein.
Jeremy erkannte einen von ihnen wieder, einen Kardiologen namens Mandel. Ein guter Mann, wenn auch ein bisschen zerstreut. Er hatte Jeremy ein paar Konsultationen geschickt, einige schlecht durchdacht, alle gut gemeint. Er saß mit dem Rücken zu Jeremy und hatte sich nach vorn gebeugt, um nichts zu verpassen.
Die anderen beiden Männer trugen grüne OP-Kleidung. Einer hatte hellbraune Haut, vielleicht ein Latino, mit dunklen, gut frisierten Haaren und einem eleganten schwarzen Schnurrbart. Der andere war weiß. Buchstäblich. Sein langes, abgespanntes Gesicht war von einer Blässe, wie Jeremy sie bislang nur bei Langzeitpatienten gesehen hatte. Gestutzte blonde Haare bedeckten einen gewölbten Schädel. Er hatte eine ausgeprägte Nase, und seine Wangen waren eingefallen.
Er hatte das Reden übernommen, bewegte die Lippen und gestikulierte mit spinnenartigen Händen, die einem Chirurgen gute Dienste leisten würden. Mandel war nach wie vor gebannt. Die Aufmerksamkeit des Mannes mit dem schwarzen Schnurrbart schien nachzulassen, als hätte seine Anwesenheit andere Gründe.
Der blasse Mann zog einen Füller aus seiner Tasche, zeichnete etwas auf eine Serviette und gestikulierte noch ein bisschen mit diesen langfingrigen Händen. Mandel nickte. Der blasse Mann machte eine Säge-Bewegung und lächelte. Mandel sagte etwas, und der blonde Chirurg zeichnete noch ein bisschen. Jeder trug etwas zum Gespräch bei. Arthur starrte unverwandt zu ihnen hinüber.
Offenbar eine Art technische Demonstration. Was mochte Arthur, ein Erforscher des Todes, ein Schwinger von Knochensägen und Tischlerwerkzeug, daran faszinierend finden? Simple Neugier, die ihr Recht forderte?
Das war es vermutlich. Arthur war gefräßig in geistiger Hinsicht, ein wahrer Intellektueller. Jeremy, der in seiner freien Zeit Zeitschriften las und selten die alten Psychologiebücher aufschlug, die er sammelte, kam sich vergleichsweise oberflächlich vor.
Er fragte sich, warum der Pathologe nicht aufstand und sich der Gruppe anschloss. Es wäre sicherlich eine Einmischung gewesen, aber Arthur war ein wichtiger Mann am Central, und allein wegen seines Formats wäre er willkommen geheißen worden.
Dann schien Arthurs Interesse zu erlahmen, und er schlug eine Seite seiner Zeitung um. Jeremy fragte sich, ob er sich geirrt hatte. Vielleicht nahm Arthur die drei Männer genauso wenig wahr, wie er Jeremy wahrgenommen hatte. Vielleicht war der alte Mann von irgendeiner inneren Vorstellung entzückt – Schmetterlinge, Killerkäfer, die Feinheiten verschiedener Körperflüssigkeiten, was immer –, und die Neigung seines großen, kahlen Kopfes hin zu der Diskussion verdankte sich einem bloßen Zufall.
Jetzt ließ der alte Mann die Zeitung nicht mehr aus den Augen. Umso besser. Jeremy konnte seinen Kaffee in Ruhe austrinken, unbelästigt in sein Büro zurückkehren, die Füße auf den Schreibtisch legen und davon träumen, wie wunderbar er mit Angela gevögelt hatte.
Er gestattete sich die Überlegung, wie es wohl das nächste Mal sein würde.
Männer besorgen es Frauen.
Der blasse Mann hörte auf, mit seinem Füller zu wedeln. Schien sich von seiner Demonstration loszureißen. Starrte quer durch den Raum zu Jeremy hinüber.
Starrte konzentriert.
Vielleicht hatte Jeremy es sich auch nur eingebildet, denn jetzt setzte der Mann seinen Vortrag fort.
Arthur stand auf, faltete die Zeitung zusammen, rückte seine Fliege zurecht. Kam direkt auf Jeremys Tisch zu. Breites Lächeln auf dem rosigen Gesicht. »Was für ein Zufall«, sagte er. »Ich wollte Sie gerade anrufen.«
12
Er nahm an Jeremys Tisch Platz, knöpfte seinen weißen Kittel auf und stopfte die Zeitung in seine Tasche. Sein Hemd war aus schneeweißem Pikee, und es hatte einen hohen, steifen Kragen. Die Fliege des Tages war minzgrün, ein prächtiger Seidenstoff, der mit winzigen
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