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Der Pathologe

Der Pathologe

Titel: Der Pathologe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Büttenpapier, die flüssige Eleganz eines Füllfederhalters.
    Dr. C:
    Freitag, 21.30 Uhr. Ich melde mich wegen
    weiterer Details.
    A.C.
    Am Freitag war eine schwere Regenfront heraufgezogen. In überforderten Kanalisationsrohren stauten sich die Abwässer, und manche Stadtbezirke wurden mit Schmutz überschwemmt. Kollidierende Autos spielten einen Trommelschlag auf straffer urbaner Haut. Die Luft roch nach Merkurochrom. Die Kais im Hafen wurden glitschig von den Brechern öligen Seewassers, Boote schlugen leck und sanken, und unrasierte Männer mit Strickmützen und hohen Watstiefeln zogen sich in dunkle Kneipen zurück, um bis zur Besinnungslosigkeit zu trinken.
    Jeremys Wagen rutschte auf dem ganzen Weg zum Krankenhaus durch die Kurven. Angela rief ihn bei Schichtende an und klang erschöpft.
    »Harter Tag?«
    »Ein bisschen härter als gewöhnlich«, sagte sie. »Aber ich werde versuchen mitzuhalten. Wenn ich einschlafe, kannst du mich auffangen.«
    »Tut mir Leid«, erwiderte Jeremy. »Mir ist was dazwischengekommen. Ein Abend mit Dr. Chess.«
    »Dr. Chess? Da musst du natürlich hin. Er ist brillant. Was für ein Thema?«
    Jeremy hatte gehofft, sie würde enttäuscht sein. »Irgendwas Gelehrtes. Er ist nicht ins Detail gegangen.«
    »Viel Spaß.«
    »Ich versuch’s.«
    »Ruf doch an, wenn es vorbei ist.«
    »Es könnte spät werden«, sagte Jeremy. »Das Abendessen beginnt erst um halb zehn.«
    »Ich verstehe … wie wär’s dann mit Samstag? Ich hab erst Sonntagvormittag wieder Bereitschaft.«
    »Okay«, sagte Jeremy. »Ich ruf dich an.«
    »Prima.«
    Jeremy besuchte seine Patienten und verbrachte den Rest des Tages mit vergeblichen Versuchen, etwas zu Papier zu bringen. Zwei Stunden vergeudete er in der Krankenhausbibliothek, indem er medizinische und der Verhaltensforschung gewidmete Datenbanken nach Hintergrundartikeln durchsuchte, von denen er wusste, dass es sie nicht gab. Er rechtfertigte seine Torheit, indem er sich sagte, dass die wissenschaftliche Forschung sich unberechenbar vorwärts bewegte. Man konnte eines Tages aufwachen und feststellen, dass alles, woran man geglaubt hatte, falsch war. Aber die Fakten hatten sich innerhalb von sechs Monaten nicht geändert: Wenn er ein Buch – oder auch nur ein Kapitel – zustande bringen wollte, musste er es allein machen.
    Als er in sein Büro zurückkam, war es 20.40 Uhr, und sein Postfach war voll. Er ging die Sachen durch und fand in der Mitte des Stapels eine handschriftliche Notiz: dieselbe schwarze Kursivschrift auf blauem Papier.
    Dr. C:
    Am besten fahre ich heute Abend.
    A.C.
    Er rief in Arthurs Büro an, ohne dass jemand dranging, trottete hinüber zum Hauptgebäude und dort ins Kellergeschoss, wo das pathologische Labor untergebracht war, fand die gesamte Abteilung verschlossen vor, die Flure düster und still, abgesehen vom mechanischen Wimmern arthritischer Aufzüge.
    Die Leichenhalle ein paar Türen weiter war ebenfalls abgeschlossen. Arthur war gegangen. Hatte der alte Mann ihn vergessen?
    Jeremy stieg die Treppe zum Erdgeschoss empor, ging in die Cafeteria und goss sich die achte kostenlose Tasse Kaffee des Tages ein. Er setzte sich und trank ihn langsam in der Gesellschaft besorgter Familien, müder Assistenzärzte und abgespannter Pfleger.
    Als er zu seinem Büro zurückkam, wartete Arthur in einem schwarzen Regenmantel mit Kapuze vor seiner Tür, der so lang war, dass er fast bis an seine Gummiüberschuhe reichte. Pfützen bildeten sich unter seinen Sohlen. Regen perlte an seinem Regenmantel ab, und seine Nase war feucht. Der alte Mann hatte das Krankenhaus verlassen und war wieder zurückgekehrt.
    Die Kapuze ließ von Arthurs Gesicht nur den Bereich zwischen Augenbrauen und Unterlippe frei. Ein paar weiße Barthaare hingen unordentlich über den Latexsaum, aber das Ergebnis war eine fast vollständige Verhüllung.
    Wie passend für einen Mann seines Berufs,
dachte Jeremy.
Der Sensenmann.
    »Hallo«, sagte Arthur. »Draußen gehen wahre Sturzbäche nieder. Ich hoffe, Sie sind gegen den Regen gerüstet.«
    Jeremy holte seine Aktentasche und seinen Trenchcoat. Arthur musterte das zerknitterte Khakiteil mit einer Art elterlicher Besorgnis.
    »Hmm«, murmelte er.
    »Das wird schon gehen«, sagte Jeremy.
    »Ich nehme an, das muss es auch. Sie haben nichts dagegen, dass ich fahre, oder? Selbst bei besten Witterungsverhältnissen liegt unser Ziel ein wenig ab vom Weg. Heute Abend …« Arthur zuckte mit den Schultern, die Plastikkapuze

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