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Der Pathologe

Der Pathologe

Titel: Der Pathologe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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anderen Wagen?«
    »Seinem Lieferwagen«, sagte sie. »Er hat einen Lieferwagen von Ford, einen alten, aber in perfektem Zustand. Er hat mir erzählt, dass er ihn bei einer Versteigerung der Stadt gekauft hat. Hat früher zum Büro des Gerichtsmediziners gehört, ist das nicht ein köstlicher Zufall?« Die alte Frau schlang die Arme um sich. »Professor Chess hat mir versichert, dass der Wagen gründlich gereinigt worden wäre. Das sind sie immer.«
    »Sie?«, fragte Jeremy.
    »Leichenhallendinge.« Sie kicherte von neuem. »Todesdinge.«

25
    Auf halbem Weg zurück in die Stadt brach das Unwetter los. Jeremys Wagen verlor mehrmals die Bodenhaftung, die Windschutzscheibe beschlug, die Bremsen verloren ihr Selbstvertrauen, und fast wäre er Teil eines Auffahrunfalls geworden, der bereits sieben Autos umfasste. Gegen Ende ergab er sich seinem Schicksal. Auf wunderbare Weise kam er in einem Stück zu Hause an und bereitete sich ein Abendessen aus Dosensuppe, Toast und schwarzem Kaffee.
    Am nächsten Abend stahlen er und Angela sich schließlich aus dem Krankenhaus davon, und er führte sie in ein besseres Restaurant als je zuvor; am Hale Boulevard im Nord End. Der Witterungsbedingungen wegen fuhren sie in einem Taxi, und Jeremy dachte daran, zwei Schirme mitzunehmen.
    Eine Lektion Arthurs.
    Das Lokal hatte grüne Wildledertapeten, Sitzbänke aus Granit und gestärkte Tischtücher von der Farbe frischer Butter. Auf dem Weg zu ihrer Nische im hinteren Teil kamen Jeremy und Angela an einem eisgekühlten Schaukasten mit Fischen vorbei, die so frisch waren, dass ihre Augen vorwurfsvoll zurückstarrten; ein anderer enthielt marmorierte, erstklassige Stücke Fleisch von Rind und Schwein. Streitsüchtige Hummer kratzten mit zusammengebundenen Scheren an den makellosen Seiten eines zwei Meter hohen Aquariums herum.
    Die Brutalität des guten Lebens.
    Jeremy hatte den Tisch vor zwei Tagen reserviert und einen Krankenhausarzt dazu gebracht, für Angela einzuspringen. Ein Bursche, der als Assistenzarzt ein Gastspiel in der Psychiatrie gegeben und in ein paar Vorlesungen von Jeremy gesessen hatte.
    Das Ambiente, das Essen, all das war großartig. Aber die Planung beeindruckte Angela so sehr, dass ihre Augen feucht wurden.
    Sie saß unmittelbar neben ihm, ihre Oberschenkel klebten aneinander.
    »Wie kann ich hiernach wieder zur Kost einer Assistenzärztin zurückkehren?«
    »Ganz sachte«, antwortete Jeremy. »Übertriebene Geschmacksschocks vermeiden.«
    »Das hier ist ziemlich schockierend«, sagte sie. »So verwöhnt zu werden.«
    »Ich wette, das ist dir nicht völlig fremd.«
    »Warum sagst du das?«
    »Einzige Tochter in einer Familie von Ärzten. Irgendetwas sagt mir, dass du mit den feineren Dingen des Lebens in Berührung gekommen bist.«
    »Du hast Recht«, erwiderte sie. »Sie haben mich liebevoll erzogen, gaben mir, was ich haben wollte, sagten immer, ich könnte alles erreichen, was ich mir in den Kopf setzte. Nach allem Dafürhalten sollte ich nie mein Selbstvertrauen verlieren, stimmt’s? Aber das tue ich. Fast jeden Tag. Dieser Beruf, all die Leute, die von mir abhängen. Was ist, wenn ich mich bei einer Verordnung um eine Dezimalstelle vertue? Oder es mir nicht auffällt, wenn das einem anderen unterläuft – das ist mir tatsächlich während meines ersten klinischen Jahres passiert. Irgendein aufgeblasener behandelnder Arzt, der mehr an seinen Rechnungen interessiert war als daran, sich um seine Patienten zu kümmern, kritzelte eine Insulinverordnung für einen Diabetiker hin. Das Hundertfache der richtigen Dosis. Wir hätten plötzlich einen Todesfall gehabt, und alle wären völlig baff gewesen.«
    »Du hast es bemerkt?«, sagte Jeremy.
    Sie nickte. Eine Kellnerin, die aussah wie ein Porzellanpüppchen, brachte Melonenlikör in winzigen grünen Gläsern und ein lackiertes Tablett mit verschiedenen frittierten Appetithäppchen. Angela massierte ihr Glas. Nahm einen Baby-Tintenfisch in die Hand, murmelte: »Zu grausam«, und legte ihn zurück auf das Tablett.
    »Also hast du ein Menschenleben gerettet. Das hast du gut gemacht.«
    »Um ein Haar hätte ich’s
nicht
gemerkt, Jeremy. Die Spritze war bereits aufgezogen – von einer Schwester vorbereitet –, und ich sollte ihm die Injektion geben, und rein zufällig fiel mein Blick auf die Verordnung. Ich werde nie den Gesichtsausdruck des Patienten vergessen. Ein alter, aber kräftiger Mann, der in seiner Glanzzeit schwere Maschinen bedient hatte und immer noch

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