Der Pathologe
Umleitungen, Verkehrsstockungen und Übellaunigkeit nach sich zog. Am Ende quetschte er sich auf die gebührenpflichtige Autobahn, schlug sich mehrere Meilen mit zäh fließendem Verkehr herum, bevor sich der mittägliche Pendlerstau auflöste und er freie Bahn hatte.
Und durch das flache Land flitzte. Er hatte eine Karte zu Rate gezogen, bevor er losfuhr, aber trotzdem fast die versteckte Ausfahrt linker Hand verpasst, die ihn an einem Friedhof von der Größe einer Kleinstadt, einem Mittelklasse-Einkaufszentrum und mehreren Rentnersiedlungen vorbeiführte, von denen jede
unabhängiges Wohnen
propagierte.
Hatte Arthur sich dafür entschieden? Canasta, Bingo und Akkordeon-Konzerte als Bestimmungsfaktoren eines sozialen Umfelds, in das er und die liebende Ehefrau sich harmonisch einfügten?
Ein fröhlich koloriertes Schild kündigte an:
Zwei Meilen nach Ash View
. Das Ambiente gab etwas nach: Einkaufsmöglichkeiten für die Arbeiterklasse, Tankstellen, Reifenhändler, Hütten, auf deren angefressenen Rasenflächen rostige Autos herumstanden.
Eine völlig andere Dimension als der Glanz des
CCC
. Wofür auch immer das stand.
Jeremy kam an einem Dairy Queen, einem Denny’s und drei Hamburger-Filialen vorbei. Auch eine andere Dimension als
foie gras
.
Unabhängiges Wohnen am Tag, Schlemmen in der Nacht. Arthur Chess war ein Mann voller Überraschungen.
Ash View: freies Land, streunende Hunde und viele verstreut liegende Wohnhäuser. Zu Arthurs Adresse passte ein großes Holzhaus mit Flachdach, von dem aus man ein mehrere Hektar großes Stück Land überblickte, auf dem einmal Weizen angebaut worden war, auf dem jetzt aber nur noch ein Grasmeer wogte. Das nächste Bauwerk – eine viertel Meile nördlich – war ein stillgelegtes Autokino mit einer beschädigten Anzeigetafel.
Die Regenwolken verwandelten die Ebene in eine Mondlandschaft mit Schatten.
Jeremy parkte und musterte das Gebäude. Ehemals elegant, jetzt schäbig und unterteilt. Gar nicht so anders als Angelas Bleibe.
Der alte Mann wohnte in einem Mietshaus.
Hatte beschlossen, sich von den Vergnügungen der Stadt und wer weiß was sonst noch abzusetzen.
Ein allein stehender Wagenschuppen rechts von dem Hauptgebäude war in eine Vierergarage umgebaut worden. Vier geschlossene Türen, aber Schlösser waren keine zu sehen. Jeremy stieg aus, hob die linke Tür an und fand einen Nissan vor. Der nächste Einstellplatz wurde von einem Ford Falcon eingenommen, der dritte war leer, und der letzte beherbergte Arthurs schwarzen Lincoln.
Anderweitige Verpflichtung.
Der alte Mann hatte die Tumor-Kommission vorzeitig verlassen und war einfach nach Hause gegangen.
Jeremy stieg die zementierte Vortreppe des großen Hauses hoch und las die Namen auf dem verwitterten Messingbriefkasten.
A. Chess –
kein Titel aufgeführt – wohnte in Einheit Vier.
Die Eingangstür war aus mattiertem Glas – ein Überbleibsel vergangener Pracht. Jeremy öffnete sie.
Die Treppe hoch und nach rechts. Das Haus roch nach Mais, geronnener Milch und Waschmittel. Die Treppe war steil, und neben ihr verlief ein makellos weißes Holzgeländer. Die Wände waren von strukturiertem Verputz bedeckt, genauso weiß, genauso sauber. Unter Jeremys Füßen lagen verwitterte Kieferndielen unter einem abgetretenen blauen Teppich. Altes Holz, aber es knarrte kein bisschen. Das Haus wurde liebevoll in Stand gehalten.
Arthurs Wohnungstür war nicht als solche gekennzeichnet.
Okay, da wären wir.
Jeremys Klopfen wurde von einem Schweigen beantwortet.
»Arthur?«, rief er. Keine Reaktion. Als er lauter klopfte, öffnete sich die Tür auf der anderen Seite des Treppenabsatzes einen Spaltbreit. Als er Arthurs Namen wiederholte und seinen eigenen hinzufügte, wurde der Spalt größer, und Jeremys Blick traf auf eine einzelne dunkle Iris.
»Hallo«, sagte er. »Ich bin Dr. Carrier, und ich suche nach Dr. Chess.«
Als die Tür aufging, sah er eine kleine, rundliche, nett aussehende Frau in einem blassgelben Hauskleid. Sie hatte weiße Haare und beeindruckende rotbraune Augenbrauen. Jemand aus Arthurs Generation. Sie hielt eine geblümte Teetasse in der Hand und lächelte ihn an. Ihre Augen waren von einem dunkleren Braun, so tief wie Braun nur sein kann, ohne ins Schwarze abzugleiten. Große Creolen zogen ihre Ohrläppchen nach unten.
Wie eine alte Wahrsagerin.
»Hat der Professor Sie erwartet, mein Lieber?«
»Eigentlich nicht«, sagte Jeremy. »Ich arbeite am Central Hospital, und ich möchte eine
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