Der Pathologe
dass er seine Sache toll gemacht habe, während er in Wahrheit nichts erreicht hatte.
Trieb er sein Spiel mit ihm?
Er hatte das Gefühl, als werde er sich auf die eine oder andere Weise noch mit Dr. Theodore Dirgrove befassen müssen.
37
Er brachte eine sehr gedrückte Angela auf ihre Station zurück und sagte ihr, dass er lange zu tun habe und sie zusammen in der Cafeteria zu Abend essen würden.
»Nicht im Speisesaal der Ärzte«, sagte sie.
»Nicht heute Abend, aber bald werden wir auch dort hingehen. Zum Teufel mit ihm.«
»Wenn ich eine Phobie entwickle, wirst du dann eine Therapie mit mir machen?«
»Eine Schnelltherapie«, sagte er. »Dir wird’s prima gehen.«
Sie küsste ihn. »Trotz allem, was du als Kind durchgemacht hast, bist du ein Märchenprinz geworden.«
»Komm rauf in mein Zimmer, ich hab einen gläsernen Schuh für dich.«
»Ich meine es ernst. Völlig ernst.«
Als Jeremy in sein Büro zurückging, musste er an die Betten im Internat denken, die so hart und flach wie eine Schieferplatte waren, die Kälte, wenn früh am Morgen das Wecksignal ertönte, das Einheitsessen, das wissende Lächeln derer, die dazugehörten.
Zurück an den Computer. Im Archiv des
Clarion
war nichts über Norbert Levy zu finden gewesen, daher war es an der Zeit, die Suche auf das Internet auszudehnen.
Die ersten Erwähnungen des emeritierten Professors, die Jeremy fand, hingen mit seiner wissenschaftlichen Arbeit zusammen. Levy war maßgeblich an der Entwicklung von Hochleistungskondensatoren beteiligt, die in der Raumfahrt, in Schiffsgyroskopen und Waffensystemen eingesetzt wurden.
Aber der Treffer, der Jeremys Aufmerksamkeit am längsten fesselte, war etwas völlig anderes: ein Bericht über ein Holocaust-Symposium an der Ostküste, das von einer Gruppe Überlebender organisiert worden war.
Das Thema der Versammlung war die Mittäterschaft im außerdeutschen Europa: Schweizer Bankiers, die gestohlene Milliarden horteten, spanische, italienische und skandinavische Diplomaten, die geraubte Kunstwerke zu einem Spottpreis erwarben, französische Politiker, die behaupteten, Widerstand gegen die Nazis geleistet zu haben, während die Tatsachen bewiesen, dass sie ohne Not kollaboriert hatten.
Levy, der zwei Doktortitel innehatte – in Physik und in Ingenieurwissenschaften –, hatte aus Gründen teilgenommen, die mit der Geschichte seiner Familie zusammenhingen. Sein Vater Oskar, ein prominenter deutscher Physiker, hatte sein Vaterland 1937 verlassen, als er sich durch antisemitische Ausschreitungen an seiner Universität dazu veranlasst sah, einen Ruf nach Oxford zu akzeptieren. Norbert Levy, seine Mutter und zwei Schwestern wurden im folgenden Jahr nach England geholt und entgingen so der Deportation, in deren Verlauf ihre gesamte weit verzweigte Familie ausgelöscht wurde. Das Haus der Familie in Berlin und sein gesamter Inhalt wurden von den Nazis konfisziert. Damit waren in mehreren Generationen zusammengetragener Familienbesitz sowie eine Sammlung von Bildern Schieles, Klimts und deutscher Expressionisten verschwunden.
Diese Gemälde, deren Wert mittlerweile auf mehrere Millionen geschätzt wurde, waren nie wieder aufgetaucht und befanden sich wahrscheinlich in den Händen eines privaten Sammlers. Norbert Levy hatte Moral zum Thema seines Symposiumbeitrags gemacht.
Der alte Professor war nicht zum Leidtragenden eines einzelnen Mordes geworden. Sein Interesse konzentrierte sich auf das schlimmste aller Verbrechen.
Jeremy fand keine vollständige Wiedergabe von Levys Beitrag, aber nach ausgiebigem Web-Surfing stieß er auf eine Zusammenfassung im Rahmen einer Website namens JewishWorldnet.com.
BERÜHMTER WISSENSCHAFTLER SAGT,
INTELLIGENZ HAT NICHTS MIT MORAL ZU TUN
Der renommierte Physiker Professor Norbert Levy hielt eine Ansprache vor den Mitgliedern des Komitees für Raubkunst (KORA), in der er die fortdauernde Abneigung europäischer Regierungen und Museen kritisierte, sich zu ihrer Mittäterschaft an den Kriegsverbrechen der Nazis zu bekennen. Trotz zahlreicher Beweise dafür, dass eine beträchtliche Anzahl derzeitiger europäischer Kunstsammlungen viele Stücke enthält, die von Hitlers Schergen beschlagnahmt wurden, werde sehr wenig getan, um gestohlene Kunstwerke zu identifizieren oder die ursprünglichen Besitzer zu entschädigen.
Levys Rede bezog sich auf ein breites Spektrum von Quellen, als er schilderte, wie einige der klügsten Köpfe aus den Kulturnationen der Welt sich ohne
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