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Der Pathologe

Der Pathologe

Titel: Der Pathologe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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großen Widerstand der Barbarei gebeugt hätten. Der preisgekrönte Wissenschaftler, der in der Vergangenheit als Kandidat für den Nobelpreis gehandelt wurde, zitierte den Schriftsteller und Psychiater Walker Percy mit dem Satz: »Man kann lauter Einsen kriegen und trotzdem im Leben durchfallen.«
       »Intelligenz ist wie Feuer«, sagte Levy im weiteren Verlauf seiner Ansprache. »Man kann Häuser niederbrennen, kochen lernen oder wunderschöne Kunstwerke in einem Brennofen herstellen. Es kommt auf das moralische Verhalten des Individuums an, und diese Eigenschaft fehlt bedauerlicherweise in einem großen Teil der so genannten intelligenten Gesellschaft. Das entscheidende Element zur Entwicklung des Individuums und ganzer Nationen ist die Verbindung von moralischer Ausbildung mit intellektueller Strenge. Das Verlangen nach Gerechtigkeit übertrumpft alles andere.«
       Obwohl er betonte, dass er nicht religiös sei, unterstrich Levy den Einfluss, den jüdisch-humanistische Werte auf seine Erziehung hatten, und er stützte sich auf die jüdische Überlieferung, indem er den Ruf nach Gerechtigkeit in der Bibel und in dem talmudischen Traktat
Sprüche der Väter
zitierte.
    Jeremy suchte nach weiteren Aktivitäten Levys, ohne fündig zu werden.
    Er gab »Edgar Marquis« ohne die »Mordfall«-Einschränkung als Suchbegriff ein und zog abermals eine Niete. Gegen jede Hoffnung versuchte er es mit »Harrison Maynard«. Der Schriftsteller hatte sich hinter Pseudonymen versteckt, also gab es keinen Grund zu der Annahme, dass er irgendwo öffentlich aufgetreten war.
    Aber Maynards Name erschien im Ehrenkomitee eines Banketts an der Ostküste, das zum Gedenken an Martin Luther King veranstaltet worden war. Nur eine Liste ohne Links, einer dieser isolierten Informationsfetzen, die, jedes Kontexts beraubt, im Cyberspace kursierten.
    »Martin-Luther-King-Gedächtnisbankett« ergab einen einzigen Verweis auf eine Veranstaltung, die vor kurzem in Kalifornien stattgefunden hatte, und Maynards Name war nirgendwo zu finden. Jeremy weitete die Suche auf »Martin- Luther-King-Gedächtnis« aus und erzielte nahezu dreitausend Treffer. Er lud fast zwei Stunden lang Dateien herunter, bevor er fand, was er gesucht hatte.
    Seiten aus einem Magazin für Bankette. Fotos von berühmten Gästen und Sponsoren. Und da stand Harrison Maynard, ein wenig dünner, seine Haare und sein Schnurrbart ein bisschen weniger grau, aber im Übrigen derselbe Mann, mit dem Jeremy zu Abend gegessen hatte.
    Lächelnd und gut genährt und elegant in einem Smoking. Neben ihm stand Norbert Levy, ebenfalls in formeller Kleidung. Der weißbärtige Physiker wurde in der Bildlegende nicht genannt. Maynard wurde als früherer Partner Dr. Kings beschrieben, der als einer der Ersten an die Seite des niedergeschossenen Bürgerrechtlers geeilt war, als dieser sterbend auf dem Parkplatz eines Motels lag. Harrison Maynard war inzwischen »ein bedeutender Wohltäter in humanitären Angelegenheiten«. Wie er an sein Geld gekommen war, wurde nicht erwähnt.
    Vom Kampf um die Bürgerrechte zum schwülstigen Roman. Maynards Philanthropie sprach dafür, dass er – ganz wie Norbert Levy – sein Interesse an moralischen Fragen nicht verloren hatte.
    Jetzt glaubte Jeremy, dass er die alten Exzentriker allmählich zu verstehen begann.
    Maynard hatte für die Gleichberechtigung gekämpft und zugesehen, wie sein Idol eines gewaltsamen Todes starb. Levys Großfamilie war ausgelöscht und sein Erbe war geplündert worden. Tina Balleron hatte ihren Ehemann durch ein Gewaltverbrechen verloren.
    Alle waren sie Opfer. Was war mit Arthur? Und mit Edgar Marquis? Der alte Diplomat hatte darauf angespielt, dass er im auswärtigen Dienst zu oft Zeuge von heuchlerischem und doppelzüngigem Verhalten geworden sei – was seine Begründung dafür war, dass er seinem weiteren beruflichen Aufstieg ein Ende machte, indem er seine Versetzung auf obskure Posten in Mikronesien und Indonesien beantragt hatte.
    Gegenden, in denen er noch etwas ausrichten konnte.
    Sie waren alle Idealisten.
    Trotz des guten Essens und des guten Weins ging es ihnen allen um Gerechtigkeit – um ihre Vision von Gerechtigkeit.
    Und jetzt wurde
er
umworben.
    Wegen Jocelyn.
    Er wollte noch weiter darüber nachdenken, aber es war Abend geworden, und er war in zehn Minuten mit Angela auf einen raschen Happen in der Cafeteria verabredet.
    Bevor er ging, sah er im Mitarbeiterverzeichnis nach, wo Theodore Dirgroves Büro lag.
    Das

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