Der Pathologe
Bund – eine Übereinkunft –, um Dinge klarzustellen.
Durch die Aufklärung ungelöster Mordfälle?
Oder durch das Begehen neuer Morde – eine läuternde Plage?
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Durch das Prisma rachsüchtiger Gerechtigkeit betrachtet, bekamen die Artikel einen anderen Sinn.
Laserchirurgie an Frauen. Zeitungsartikel über zwei ermordete Frauen.
Der Laser als läuternde Waffe – ein läuterndes
Werkzeug
?
Hatte ein Irrer einen antiken Text als Begründung für seine persönliche Art von Gerechtigkeit benutzt?
Oder schlimmer noch: ein Teufel in Menschengestalt, der einfach prahlte?
Jeremy blätterte durch das rosafarbene Buch und starrte verständnislos auf die hebräischen Buchstaben. Konnte es eine jüdische Verbindung zu all dem hier geben? Wollte jemand, dass er an eine solche Verbindung glaubte?
Das erinnerte ihn an etwas, das er Jahre zuvor auf dem College gelesen hatte. Über Jack the Ripper. Ein um Relevanz bemühter Professor der Psychologie des Abnormen hatte einen True-crime-Bericht über die Whitehall-Morde auf seine Leseliste gesetzt, weil er der Ansicht war, dass dadurch das Wesen des sadistischen Psychopathen besser illustriert würde als durch jedes Lehrbuch.
Bemühung um Relevanz war im Allgemeinen ein Spiel für Narren, und Jeremy hatte den Bericht für eine weitere überflüssige Vereinfachung gehalten: jede Menge Spekulationen, Theorien, die niemals verifiziert oder falsifiziert werden konnten, seitenweise grässliche Fotos.
Aber eine spezifische Illustration kam ihm nun in den Sinn. Die Reproduktion eines Kupferstichs von einer Kreideschmiererei auf einer schwarzen Ziegelsteinwand im Londoner East End. Eine Botschaft am Tatort eines Prostituiertenmords – irgendwas über »die Juhden«, denen man an nichts die Schuld gäbe. Die ursprüngliche Schrift war abgewischt worden, und ein Police Constable hatte sie aus dem Gedächtnis rekonstruiert. Der Kupferstecher hatte seine Phantasie eingesetzt.
Der Ripper hatte sein Ding in einem Slum mit hohem jüdischem Bevölkerungsanteil durchgezogen, und die einhellige Interpretation der Schmiererei war, dass es sich um den Versuch handelte, den Verdacht auf eine ethnische Gruppe zu lenken, der man ohnehin mit Misstrauen begegnete.
Bernard Kaplan zufolge hatte das Central Hospital eine antisemitisch befleckte Vergangenheit.
Die ermordeten Frauen in dem Zeitungsausschnitt waren Engländerinnen gewesen.
Jeremy schwirrte der Kopf, als er das Buch zuklappte und zum Krankenhaus zurückfuhr.
Oslo, Paris – Damaskus über Berlin. Die syrische Hauptstadt war mit Sicherheit ein judenfeindlicher Ort. Und nir- gendwo hatte der Judenhass stärker gewütet als in Deutschland. Wollte Arthur ihn in eine bestimmte Richtung lenken?
Arthur und andere? Tina Balleron war nicht im Mindesten überrascht gewesen, als sie von den Umschlägen erfuhr.
Also waren die Artikel vielleicht nicht von einem Killer geschickt worden, sondern genau das, was er anfangs vermutet hatte: Einer von Arthurs Ersatzspielern tat, was der alte Mann ihn geheißen hatte.
Und führte ihn zu einem alten jüdischen Buch.
Das einzige CCC-Mitglied mit einem jüdischen Nachnamen war Norbert Levy, und bei Jeremys ursprünglichen Nachforschungen war nichts aufgetaucht, was den Professor der Ingenieurwissenschaften mit irgendwelchen Mordfällen in Verbindung brachte. Vielleicht musste er nur tiefer graben.
Er trat das Gaspedal durch, fuhr zu schnell auf Straßen, die von Öl und Regen glatt waren, schaffte es bis zum Ärzteparkplatz und stellte rasch seinen Wagen ab. Er sprang aus dem Auto und eilte in sein Büro.
Er wusste, was er zu tun hatte. Ein gutes Gefühl.
Er hatte kaum seinen Mantel aufgehängt und den Computer hochgefahren, als Angela anrief.
»Ich muss unbedingt zu dir kommen.«
»Jetzt gleich?«
»Ja – kann ich? Bitte!«
»Alles in Ordnung mit dir?«
»Ich will am Telefon nicht darüber reden. Hast du Zeit? Sag bitte ja.«
»Ja«, sagte Jeremy.
»Ich bin schon unterwegs.«
Sie kam in Turnschuhen und einer schwarzen Bluse, die sie in eine Khakihose gestopft hatte, hereingestürmt. Kein Kittel und kein Stethoskop. Ihre Haare waren achtlos zurückgebunden, und lose Strähnen standen in alle Richtungen ab. Ihre Augen waren rot, ihre Wangen tränenüberströmt.
»Was ist los?«, fragte Jeremy.
Sie ließ ein Lächeln aufblitzen, das ihm physisches Unbehagen bereitete. Sie war am Boden zerstört. Als sie zu sprechen begann, schien ihre Kehle zugeschnürt zu sein.
»Ich bin ja so
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