Der Pathologe
wirklich in der Lage, es zu vergessen?«
»Ich weiß nicht.«
»Er sollte gemeldet werden, Angela.«
»Und was passiert dann? Sein Wort gegen meins? Eine Assistenzärztin im zweiten Jahr gegen einen ordentlichen Professor? Es könnte nie bewiesen werden. Ich würde in eine große Schweinerei reingezogen. Nichts würde für mich hier wieder sein wie vorher.« Sie schlug mit ihrer Faust auf die Fensterbank. »Dieser verdammte Mistkerl! Dieser
Wichser
!« Ein mattes Lächeln erschien auf ihren Lippen. »Interessante Wortwahl … Ach, Jeremy, wie konnte ich nur so
dumm
sein?« Sie ging rasch zu seinem Sessel für die Patienten und ließ sich hineinfallen. »Mein Kittel und mein Stethoskop. Das ist alles, woran ich interessiert bin. Ich will ihn einfach nicht mehr wiedersehen. In zwei Tagen endet meine Zeit bei der Brustmedizin ohnehin. Es gibt keinen Grund mehr, ihn zu sehen. Was hab ich mir nur dabei gedacht? Ich werde sowieso keine Chirurgin. Was hat mich dazu verleitet, meine Zeit mit ihm zu verschwenden?«
»Hier geht es nicht darum, dass du dumm gewesen bist. Du wolltest eine bessere Ärztin werden. Du hast geglaubt, er wollte dir etwas beibringen.«
»Ja. Das ist wahr.« Sie atmete tief durch. »Aber du wusstest es besser, nicht?«
»Nein«, sagte er. »Ich war nur eifersüchtig.«
Sie brachte ein schwaches Lächeln zustande. »Oh, Jeremy, wie konnte ich so leichtgläubig sein? Hätte ich mich in seiner Nähe aufgehalten, wenn er wie ein Troll ausgesehen hätte? Wenn er mich nicht beachtet hätte – mich nicht unter allen anderen Assistenzärzten ausgewählt hätte? Ich würde gern glauben, dass ich es getan hätte. Ich wünschte, ich könnte mir sicher sein.«
Sie ließ sich in dem Sessel nach vorn fallen. Als sie zu ihm aufsah, war ihr Blick voller … Schuldbewusstsein.
Sie hatte Dirgrove attraktiv gefunden.
Meine Eifersucht war nicht grundlos. Vielleicht kommt meine Intuition wieder zurück.
»Es spielt keine Rolle«, sagte er, »was du geglaubt hast. Er ist der Übeltäter. Er hat dich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in sein Büro gelockt, hat dich auf übelste Weise betatscht, und als du ihm klar gemacht hast, dass du nicht interessiert bist, hat er die Beleidigung noch verschlimmert, indem er sich an den Schwanz gefasst hat.«
»Ja«, sagte sie. »Genau das war es. Ekelhaft. Und dieses süffisante Lächeln. ›Ich kann dich glücklich machen.‹ Was für ein Macho-Scheiß. Der Idiot hat zu viele Pornofilme gesehen. Er hat mir klar gemacht, dass ich ihm nichts bedeute. Dass er die Fäden in der Hand hat … aber, Mann, wie konnte ich nur so
blöd
sein!«
»Du bist auf dem falschen Fuß erwischt worden«, sagte Jeremy. »Das kann jedem passieren.«
»Dir nicht, jede Wette. Du bist so … gelassen. Du bildest dir vorher deine eigene Meinung. Wählst deine Worte sorgfältig, bevor du sprichst. Deine Ausbildung – all die Leute, mit denen du gearbeitet hast –, du lässt dich wahrscheinlich nie auf dem falschen Fuß erwischen.«
Es klopfte an der Tür, und Angela zuckte zusammen.
Jeremy ging hin und öffnete sie.
Ein junger Mann im Gelb der Krankenpfleger stand da und hielt einen weißen Kittel und ein Stethoskop in der Hand.
»Befindet sich hier ein Dr. Rios?«
»Ich nehme das an mich«, sagte Jeremy.
»Klar, Doc. Dr. Dirgrove sagt, Sie hätten die Sachen in seinem Büro liegen lassen. Ich soll Ihnen schöne Grüße ausrichten.«
Jeremy schloss die Tür.
»Er wusste genau, wohin ich gehen würde«, murmelte Angela.
»Es ist offenbar kein Geheimnis«, sagte Jeremy.
Und dachte:
Genau darauf kommt es an
. Dirgrove machte es einen Heidenspaß, sie beide wissen zu lassen, dass er über sie Bescheid wusste. Hier ging es nur um Macht. Ihnen unter die Nase zu reiben, wer hier das Kommando hatte.
Ihm kam ein abwegiger Gedanke. Als er Angelas Haus letzte Woche eines Nachts spät verlassen hatte, hatte er geglaubt, ihm sei jemand in einem Wagen gefolgt.
Als das Fahrzeug schon bald nicht mehr hinter ihm herfuhr, hatte er sich für paranoid gehalten. Jetzt war er sich nicht mehr so sicher.
Kurze Zeit später hatte Dirgrove ihn um Hilfe im Fall Merilee Saunders gebeten.
Dr. Sensibel, der sich Gedanken über die Angst seiner Patientin machte. Oder gab es einen anderen Grund?
Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, seine Patientin von der Konsultation zu unterrichten – und Jeremy ins offene Messer laufen lassen.
Dann stirbt die Patientin. Einfach so.
Informierte Jeremy durch Angela,
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