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Der Pathologe

Der Pathologe

Titel: Der Pathologe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Penthousegeschoss im Hauptgebäude. Der von der Psychiatrie eingenommene Raum, bis die Chirurgen ihn für sich reklamiert hatten.
    Als die Psychiatrie die Räume belegt hatte, handelte es sich einfach um ein Obergeschoss mit schäbigen Tapeten und düsterem Teppichboden. Jetzt war der Teppich neu und sauber, und die Wände waren getäfelt. Polierte Mahagonitüren ersetzten weiße Platten.
    Dirgroves Tür war geschlossen. Der Name des Chirurgen war in selbstbewussten Goldbuchstaben darauf angebracht.
    Jeremy blieb mehrere Augenblicke im Flur stehen, trat schließlich vor die Tür und klopfte.
    Keine Reaktion.
    Er machte kehrt, um sich mit Angela zu treffen, und begegnete Dirgrove, als er den Aufzug verließ.
    Dirgrove trug einen gut geschnittenen schwarzen Anzug über einem schwarzen Rollkragenpullover. Seine Nägel waren makellos. Er presste die Lippen zusammen, als er Jeremy sah.
    Die beiden fixierten sich gegenseitig. Dirgrove lächelte, blieb aber stehen. Jeremy lächelte ebenfalls und ging einen Schritt vorwärts. Er lächelte mit einer Heftigkeit, dass seine Augen zu brennen begannen.
    Dirgrove wich nicht von der Stelle, dann zuckte er mit den Achseln und lachte, als wolle er sagen:
Das ist trivial.
    Jeremy fragte: »Haben Sie kürzlich noch andere Patienten verloren, Ted?«
    Dirgroves Mundwinkel sackten plötzlich herab, als ob sie von Angelhaken nach unten gezogen würden. Sein längliches, bleiches Gesicht wurde totenblass. Als er wegging, blieb Jeremy stehen und schaute ihm hinterher. Dirgroves Hände ballten sich zu Fäusten und öffneten sich wieder, seine Spinnenfinger flatterten wild, als würden sie von Zufallssynapsen gezündet.
    Nervös. Das war nicht gut für einen Chirurgen.

38
    Angela hatte Mühe, ein Drittel ihres Truthahnsandwichs herunterzubekommen. Sie hatte nicht mehr viel Zeit, bevor sie ihren Dienst wieder aufnehmen musste. Jeremy knabberte an seinem Burger und sah zu, wie sie schlaffen Salat auf ihrem Teller herumschob.
    »Ich bin keine sonderlich angenehme Gesellschaft«, sagte sie. »Vielleicht sollte ich besser gehen.«
    »Bleib noch ein bisschen.« Sein Pieper ging los.
    Angela lachte und sagte: »Nimm das als gutes Omen.«
    Er nahm den Anruf in der mittlerweile leeren Cafeteria entgegen. Ein Onkologe namens Bill Ramirez hatte einen Notfall. Ein Patient, den sie beide gemeinsam vor sieben Jahren gehabt hatten, ein junger Mann mit Namen Doug Vilardi, der ein Ewing-Sarkom dritten Grades im Knie gehabt hatte, war wieder da.
    Jeremy hatte Doug und seine ganze Familie kurz nach der Diagnose beraten. Mit der schlechten Nachricht, der kräftezehrenden Behandlung und dem Verlust eines Beins gab es genug Grund zum Weinen. Aber Jeremy begriff schließlich, dass den Siebzehnjährigen vor allem die Aussicht zu schaffen machte, durch die Röntgenbehandlung unfruchtbar zu werden.
    Was für ein anrührender Optimismus, hatte er damals gedacht. Die statistische Wahrscheinlichkeit, ein Ewing-Syndrom im fortgeschrittenen Stadium zu überleben, war nicht gerade groß. Aber er hatte sich der Phantasie angeschlossen, mit Ramirez über eine Samenspende vor der Röntgenbestrahlung gesprochen, erfahren, dass es machbar war, und dabei geholfen, die entsprechenden Maßnahmen zu treffen.
    Doug hatte sein linkes Bein verloren, aber den Krebs überlebt – eine dieser positiven Erfahrungen, die einem neue Energie verleihen. Keine Phantomschmerzen, keine qualvollen Nachwirkungen. Er hatte mit Krücken angefangen, war dann zu einem Stock übergegangen, kam wunderbar mit seiner Prothese zurecht. Jeremy hatte vor vier Jahren zum letzten Mal von ihm gehört. Der Junge spielte Basketball mit seinem Plastikbein und machte eine Maurerlehre.
    Und was war jetzt los?
    »Ein Rückfall?«, fragte er Ramirez.
    »Schlimmer, verdammt noch mal«, sagte der Onkologe. »Sekundärkarzinom. AML oder möglicherweise neu umgewandelte CML, ich warte immer noch auf die Ergebnisse der Pathologie. Aber egal, es ist Leukämie, die zweifellos von der Strahlentherapie herrührt, die wir ihm vor sieben Jahren angedeihen ließen.«
    »Oh, nein.«
    »Oh, ja. ›Die gute Nachricht, mein Junge, lautet, dass wir deinen festen Tumor atomar vernichtet haben. Die schlechte Nachricht lautet, dass wir dein hämatopoetisches System atomar vernichtet und dir eine verdammte Leukämie verpasst haben.‹«
    »Herr im Himmel.«
    »Den könnte ich brauchen«, sagte Ramirez. »Wenn ich allerdings bedenke, dass der Herr im Himmel nicht auf seinen Pieper reagiert

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