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Der Pathologe

Der Pathologe

Titel: Der Pathologe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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erfolgreiche Praxis als Geburtshelfer und Gynäkologe aufbaute. Seine Patientinnen bewunderten ihn wegen seiner Einfühlsamkeit und seiner Bereitschaft zuzuhören. Keine von ihnen bemerkte die sechs versteckten Kameras in Dergraavs Untersuchungszimmer, mit denen der Arzt im Lauf der Zeit eine Bibliothek mit sechshundert Filmrollen von nackten Frauen zusammentragen konnte.
    Einzelheiten über Dergraavs frühe Kindheit gab es nicht, und Pugh ersetzte Fakten durch freudianische Spekulation. Eine Tatsache war verifiziert worden: Kurz nach seiner Ankunft in Deutschland begann der höfliche junge Arzt damit, Prostituierte aufzugabeln und zu foltern. Mit großzügigen Geldbeträgen sicherte er sich ihre Verschwiegenheit. Dass sie keine Narben davontrugen, tat ein Übriges. Dergraav hatte die Gelüste einer Bestie, aber die Hand eines Chirurgen. Spätere Gespräche mit den frühen Opfern offenbarten Dergraavs Vorliebe dafür, seine Opfer zu demütigen, und Videobänder aus den späteren Jahren des Arztes, die in einem Versteck gefunden worden waren, zeigten ihn, wie er mehr als zweihundert Frauen peitschte, mit der Hand schlug, biss und mit Injektionsnadeln stach. Außerdem gefiel es ihm, ihre Hände in eiskaltes Wasser zu stecken und ihre Arme und Beine mit Blutdruckmanschetten abzubinden und dann die Zeit zu stoppen, bis der Schmerz einsetzte. Oft hatte Dergraav sich auch selbst in Nahaufnahme in Szene gesetzt. Mit feinem Lächeln.
    Ein gut aussehender Mann, behauptete Pugh, obwohl er kein Foto zur Bestätigung anbot.
    In den späten Fünfzigerjahren heiratete Dergraav eine Frau aus der Oberschicht, die Tochter eines Kollegen, und zeugte ein Kind.
    Kurz darauf tauchten in den Elendsvierteln von Berlin Leichen von Prostituierten auf, die in Stücke geschnitten waren.
    Gerüchte, die auf der Straße kursierten, führten schließlich dazu, dass Dr. Dergraav ins Blickfeld der Ermittler geriet. Als der Gynäkologe in seinem Büro befragt wurde, gab er seiner Überraschung Ausdruck, dass die Polizei ihn irgendwelcher dunkler Machenschaften verdächtigte, und er zeigte weder Besorgnis noch Schuldgefühle. Die Kriminalbeamten hatten Schwierigkeiten, in dem charmanten, leise sprechenden Arzt den Dämon hinter den grauenhaften Verstümmelungen zu sehen, denen sie jetzt immer häufiger begegneten. Dergraav wurde als Verdächtiger unter ferner liefen abgeheftet.
    Die Prostituiertenmorde wurden mit kleineren Unterbrechungen über nahezu ein Jahrzehnt fortgesetzt. Die Verachtung des Killers für seine Opfer verstärkte sich, und er entmenschlichte sie, indem er Körperteile vertauschte und kombinierte, so dass Extremitäten und Organe von mehreren verschiedenen Frauen gefunden wurden, die zusammen in Plastiksäcke gesteckt und in Mülleimer gestopft worden waren. Als forensische Beweise bei einem Opfer im Jahr 1964 den Gerichtsmediziner zu dem Schluss veranlassten, dass ein Laser zur Zerlegung benutzt worden war, stellte die Polizei nach erneuter Durchsicht ihrer Unterlagen fest, dass Dergraav wieder nach Paris gefahren war, um sich in der Anwendung des immer noch im Experimentierstadium befindlichen Instruments zur Augenoperation unterweisen zu lassen. Das schien merkwürdig zu sein, weil Dergraav kein Ophthalmologe war, und sie befragten ihn noch einmal. Dergraav setzte sie von seiner ophthalmologischen Ausbildung in Kenntnis, bewies es mit Zeugnissen und behauptete, er dächte daran, wegen der Aussichten, die Laserskalpelle bei der Ablation von Hornhautgewebe eröffneten, wieder zu seinem früheren Fachgebiet zurückzukehren.
    Die Kriminalbeamten fragten, ob sie seine Praxis durchsuchen dürften.
    Die Zustimmung des Arztes war erforderlich; es gab keinen Grund für einen Durchsuchungsbeschluss. Charmant lächelnd lehnte Dergraav ab. Während der Befragung lachte er und sagte den Ermittlern, sie könnten nicht weiter danebenliegen. Sein Gebrauch des Lasers sei auf wissenschaftliche Zwecke beschränkt, und das Instrument sei bei weitem zu teuer für ihn. Außerdem sei seine gynäkologische Spezialität die operative Behandlung von Vaginalschmerzen. Er sei Arzt, und seine Lebensaufgabe bestehe in der Linderung von Qualen, nicht in ihrer Erzeugung.
    Die Kriminalbeamten gingen. Drei Tage später waren Dergraavs Praxis und sein Zuhause ausgeräumt und verschlossen, und alle Oberflächen waren abgewischt, so dass es keine Fingerabdrücke mehr gab. Der Arzt und seine Familie waren verschwunden.
    Dergraavs Frau tauchte ein Jahr später in

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