Der Pathologe
wunderschön. Jeder hat das gesagt, die Priester, alle.«
»Wie schön für Sie.«
»Das war nicht nur ich, das war die ganze Truppe. Ich hab von diesen Burschen gelernt. Jetzt haben wir jüngere Leute, und ich bringe denen was bei. Ich muss wieder zurück an die Arbeit. Wenn ich nicht arbeite, dann komme ich mir …«
Doug warf die Hände in die Luft.
Jeremy nickte.
»Meine Mom hat Angst wegen der geplanten Behandlung. Sie meint, die letzte Behandlung wäre an meiner neuen Krankheit schuld. Aber was soll der Scheiß, Doc? Was erwartet man von mir …«
Während Jeremy zum Krankenhaus fuhr, dachte er über den Optimismus des jungen Mannes nach. Vielleicht war das angeboren; nach Jeremys Erfahrung hatte eine positive Grundeinstellung wenig mit der Lebenswirklichkeit zu tun. Manche Leute sahen den Doughnut, andere das Loch.
Das späte Abendessen mit den alten Exzentrikern ließ vermuten, dass sie Doughnut-Leute waren. Überlebende, die der Ansicht waren, sie hätten gute Tischtücher, feines Porzellan und Silber, drei Fleischgänge,
foie gras,petits fours
und den trockensten aller Champagner verdient.
Das späte Abendessen war das erste tolle Essen gewesen, das Jeremy innerhalb der letzten … Jahre zu sich genommen hatte.
Wo war sein Platz im Doughnut-Loch-Kontinuum?
Beobachter, allzeit der Chronist.
Als er in sein Büro kam, war eine Kurzmitteilung vom Leiter der Onkologie in seinem Postfach.
JC: Hab Ihr Kapitel durchgelesen. Hier sind ein paar Vorschläge, aber alles in allem sehr schön. Wann können wir mit einem fertigen Manuskript rechnen?
Außerdem lag ein Pappkarton in seinem Fach, der als BÜCHERSENDUNG gekennzeichnet und frankiert war.
Drinnen lag ein gebundenes Buch mit einem dunkelgrünen Leineneinband.
DAS BLUT BLEIBT KALT:
Serienmörder und ihre Verbrechen
von
Colin Pugh
Zwölf Jahre alter Copyright-Vermerk, britisches Verlagshaus, kein Schutzumschlag, keine Informationen über den Autor.
Auf dem Schmutztitel stand ein mit Bleistift geschriebener Preis – $ 12,95 –, und ein schwarzer Stempel besagte in Fraktur
Renfrews Antiquariat
und nannte im Anschluss die Adresse und Telefonnummer des nicht mehr existierenden Geschäfts.
Er hatte nicht daran gedacht, dass der Laden einen Namen hätte haben können, geschweige denn eine Nummer – konnte sich nicht daran erinnern, je ein Telefon gehört zu haben, während er in den Regalen stöberte. Er wählte die sieben Ziffern, hörte die Nachricht ab, dass der Anschluss »stillgelegt« sei, und fühlte sich beruhigt.
Sein Name und seine Adresse im Krankenhaus standen in Druckschrift auf dem Karton. Er suchte darin nach einer Karte oder Botschaft, fand weder noch, blätterte das ganze Buch durch.
Nichts.
Er schlug den Anfang des ersten Kapitels auf und begann zu lesen.
Fünfzehn Kapitel, fünfzehn Mörder. Von den meisten hatte er gehört – Vlad der Pfähler, Blaubart, der Würger von Boston, Ted Bundy, Son of Sam, Jack the Ripper (das Kapitel über den Whitehall-Unhold bestätigte Jeremys Erinnerung an die Wandschmiererei; der genaue Wortlaut der Kreideschrift:
»Die Juhden sind die Menschen Denen man an nichts die Schuld gibt«
). Ein paar waren ihm neu: Peter Kürten (»der Vampir von Düsseldorf«), Herman Mudge, Albert Fish, Carl Panzram.
Er ging dazu über, die Seiten diagonal zu lesen. Einzelheiten der Bluttaten verschwammen, und die Täter verschmolzen zu einer scheußlichen Masse. Trotz all der grausigen Dinge, die sie taten, waren psychopathische Mörder ein langweiliger Haufen, Kreaturen mit morbiden Gewohnheiten, geschmiedet nach der gleichen verqueren Form.
Jeremys Blick fiel auf die Überschrift des letzten Kapitels.
Gerd Dergraav: der Laser-Schlachter
Dergraav war ein norwegischer Arzt, der Sohn eines in Oslo akkreditierten deutschen Diplomaten und einer Zahnärztin, die die Familie verließ und nach Afrika ging. Der junge Gerd, ein hervorragender Schüler, studierte Medizin und qualifizierte sich als Facharzt sowohl für Otolaryngologie als auch Ophthalmologie. Dann wechselte er wiederum das Fachgebiet und wurde Chefarzt für Geburtshilfe am Osloer Institut für Gynäkologie. Während des Zweiten Weltkriegs betrieb er Forschungen in Norwegen. 1946 nahm er ein Forschungsstipendium für Fortgeschrittene zur Behandlung von Ovarialtumoren in Paris wahr.
Sein Vater starb 1948. Mit drei fachärztlichen Zeugnissen in der Tasche zog Dergraav nach Berlin, die Heimatstadt seiner Mutter, wo er eine äußerst
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