Der Patient
diese Entscheidung gar nicht schwer gefallen.«
Und damit drängte sie sich an dem verblüfften Doktor Starks vorbei ins Behandlungszimmer.
4
So also«, sagte die junge Frau, »nimmt unser Rätsel seinen Lauf.«
Ricky war ihr wortlos in die Praxis gefolgt, wo er nur zusah, wie sie die Blicke schweifen ließ. Sie betrachtete die Couch, seinen Sessel, seinen Tisch. Sie ging zum Bücherregal und nickte ein paarmal, während sie sich die dicken Schinken mit den sperrigen Titeln zu Gemüte führte. Sie strich über einen Rücken und schüttelte den Kopf, als sie den Staub auf ihrer Fingerspitze sah. »Nicht oft reingesehen …«, murmelte sie. Einmal sah sie kurz zu ihm auf und sagte vorwurfsvoll: »Was? Kein einziger Gedichtband oder Roman?« Dann schritt sie zu der cremefarbenen Wand, an der seine Diplome und ein paar kleine Kunstwerke hingen, nebst einem kleinen, eichengerahmten Porträt des großen Meisters selbst. Auf dem Bild hielt er – einen bedrohlichen Blick in den tiefliegenden Augen, das bereits vom Krebs gezeichnete Kinn, das ihm in seinen letzten Jahren solch unerträgliche Schmerzen bereiten sollte, von einem weißen Bart verhüllt – die unvermeidliche Zigarre in der Hand. Sie tippte mit dem leuchtend rot lackierten Nagel eines langen Fingers an das Glas über dem Porträt. »Interessant, nicht wahr, wie jeder Beruf seine passende Ikone an der Wand hängen hat. Ich meine, wenn ich zu einem Priester käme, hätte er irgendwo einen Jesus am Kreuz. Ein Rabbi hätte einen Davidstern oder eine Menora im Zimmer. Jeder zweitklassige Politiker schmückt sein Büro mit einem Lincolnoder Washington. Das sollte wirklich per Gesetz verboten werden. Mediziner umgeben sich gerne mit diesen kleinen Plastikmodellen von einem aufgeschnittenen Knie oder Herz oder sonst irgendeinem Organ. Würde mich nicht wundern, wenn sich ein Computer-Programmierer da draußen in Silicon Valley zur täglichen Andacht ein Porträt von Bill Gates an die Wand seiner Großraumbüro-Kabine nageln würde. Ein Psychoanalytiker wie Sie, Ricky, braucht das Bild vom heiligen Sigmund. Der macht jedem, der den Raum betritt, von vornherein klar, wer sich die Regeln ausgedacht hat, die hier gelten. Und außerdem verschafft es Ihnen ein klitzekleines bisschen Legitimität, die sonst womöglich bezweifelt würde.«
Ricky Starks griff schweigend nach einem Sessel und schob ihn vor seinen Schreibtisch. Dann trat er dahinter und lud die Frau mit einer stummen Geste ein, sich zu setzen.
»Was?«, fragte sie energisch. »Sie lassen mich nicht auf die berühmte Couch?«
»Dafür ist es zu früh«, erwiderte er kalt. Er wiederholte die Geste.
Noch einmal inspizierten die grünen Augen den ganzen Raum, als ginge es darum, sich jeden Gegenstand darin zu merken, dann ließ sie sich in den Sessel fallen. Sie räkelte sich wohlig auf ihrem Sitz, während sie gleichzeitig in die Tasche ihres schwarzen Regenmantels griff, um eine Schachtel Zigaretten herauszuholen. Sie nahm sich eine Zigarette, steckte sie sich zwischen die Lippen, zündete ein durchsichtiges Butangas-Feuerzeug, hielt die Flamme jedoch nicht ganz an die Zigarettenspitze.
»Ach so«, sagte sie, während sich ein gedehntes Lächeln über ihre Züge legte, »wie unaufmerksam von mir. Hätten Sie auch gern eine, Ricky?«
Er schüttelte den Kopf. Sie lächelte immer noch.
»Natürlich nicht. Wann hatten Sie es noch gleich aufgegeben? Vor fünfzehn Jahren? Zwanzig? Präzise gesagt, Ricky, war es wohl 1977, falls Mr. R. mich richtig informiert hat. Das hat schon was, Ricky, in einer Zeit das Rauchen aufzugeben, in der sich so viele Leute eine angesteckt haben, ohne auch nur einen Moment darüber nachzudenken, denn, auch wenn es die Zigarettenhersteller leugnen, wusste man damals sehr wohl, dass es schädlich ist; dass man schlichtweg daran stirbt. Also haben die meisten lieber nicht darüber nachgedacht. Vogel-Strauß-Politik: Kopf in den Sand und nur ja nicht hinsehen. Außerdem passierte damals auch so genug. Kriege und Demonstrationen und Skandale. Muss eine tolle Zeit gewesen sein, hab ich mir sagen lassen. Aber, Ricky, der junge angehende Arzt hat es geschafft, das Rauchen aufzugeben, als es normal war und keineswegs so verpönt wie heute. Das spricht Bände.«
Die junge Frau zündete sich die Zigarette an, nahm einen langen Zug und blies träge den Rauch ins Zimmer.
»Ein Aschenbecher vielleicht?«, fragte sie.
Ricky griff in eine Schreibtischschublade und holte denjenigen heraus,
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