Der Patient
Fotografen, entging seinen Augen nichts, von ihren Brüsten, zu ihrem Geschlecht, ihren langen Beinen und zuletzt wieder ihren Augen, die ihm erwartungsvoll entgegenfunkelten.
»Sehen Sie, Ricky«, sagte sie, »Sie sind nicht so alt. Merken Sie nicht, wie das Blut in Ihren Adern strömt? Regt es sich nicht ein bisschen zwischen den Beinen? Ich hab keine schlechte Figur, nicht wahr?« Sie kicherte ein wenig. »Siemüssen nicht antworten. Mir ist Ihre Reaktion nicht entgangen. Hab ich schon bei anderen Männern gesehen.«
Sie sah ihm weiter unverwandt in die Augen, als bestünde sie darauf, seine Blickrichtung zu lenken.
»Es gibt jedesmal diesen großartigen Moment, Ricky«, sagte Virgil mit einem breiten Grinsen. »Der erste Blick auf den Körper einer Frau. Besonders bei einer Frau, die er zum ersten Mal sieht. Ein abenteuerlicher Moment. Sein Blick strömt herunter wie Wasser über ein Kliff. Und dann kommt es, wie jetzt gerade bei Ihnen, zu diesem schuldbewussten Blickkontakt, wenn Sie mir eigentlich lieber zwischen die Beine starren wollen. Es ist, als ob der Mann mir ins Gesicht sieht, um mir zu sagen, dass er in mir die Person respektiert, während er in Wirklichkeit denkt wie ein Tier, egal wie gebildet und kultiviert er sich gibt. Ist es nicht gerade eben so?«
Er antwortete nicht. Ihm wurde bewusst, dass er schon seit Jahren nicht mehr in der Gegenwart einer nackten Frau gewesen war, eine Erkenntnis, die tief in seinem Innern unüberhörbar widerhallte. Jedes Wort, das Virgil sagte, klang ihm in den Ohren, und er merkte, dass ihm heiß geworden war, als sei die sommerliche Glut von draußen ungebeten in die Praxis gestürmt.
Sie lächelte ihn weiter an. Sie drehte sich noch einmal im Kreis und stellte ihren Körper zur Schau. Sie verharrte in einer Stellung und nahm dann wie das Modell eines Künstlers auf der Suche nach der richtigen Pose eine andere ein. Bei jeder Drehung ihres Körpers schien die Temperatur in der Praxis um ein paar Grad zu steigen. Dann bückte sie sich langsam und hob den Regenmantel vom Boden auf. Sie hielt ihn sich eine Sekunde lang vor die Brust, als widerstrebte es ihr, ihn wieder anzuziehen. Doch dann schlüpfte sie in einer schnellen Bewegung in die Ärmel und machte sich daran, ihn vorne fest zuverschließen. Sowie ihre nackte Gestalt verschwand, fühlte sich Ricky beinahe, als erwachte er aus einer Art hypnotischer Trance; zumindest fühlte er sich in etwa so wie ein Patient, der aus der Narkose erwacht. Er wollte etwas sagen, doch Virgil unterbrach ihn mit einer stummen Handbewegung.
»Tut mir leid, Ricky«, sagte sie kurz angebunden. »Für heute ist die Sitzung beendet. Ich habe Ihnen eine Menge Informationen gegeben, und jetzt ist es an Ihnen zu handeln. Darin sind Sie nicht so gut, hab ich Recht? Sie hören immer nur zu. Nun ja, die Zeiten sind vorbei, Ricky. Jetzt müssen Sie in die Welt hinaus und etwas unternehmen. Sonst … denken wir besser nicht an das, was sonst passiert. Wenn der Führer die Richtung weist, müssen Sie ihm folgen. Lassen Sie sich nicht dabei erwischen, einfach nur rumzusitzen und Däumchen zu drehen. Wer rastet, der rostet, Morgenstund hat – blah, blah, blah. Das kann ich Ihnen nur dringendst ans Herz legen. Nehmen Sie meinen Rat an.«
Sie schritt zügig zur Tür.
»Warten Sie«, sagte er impulsiv. »Kommen Sie wieder?«
»Wer weiß?«, antwortete Virgil, während ihr ein zartes Lächeln um die Mundwinkel spielte. »Vielleicht von Zeit zu Zeit. Wir wollen mal sehen, wie Sie sich machen.« Damit riss sie die Tür auf und ging.
Einen Moment lang horchte er auf das Klickklack ihrer Absätze im Flur, dann sprang er auf und hastete zur Tür. Er zog sie energisch auf, doch Virgil war bereits verschwunden. Er blieb unschlüssig stehen, bevor er in die Praxis zurückkehrte und ans Fenster lief. Er drückte das Gesicht an die Scheibe und sah genau in dem Moment die junge Frau aus dem Haupteingang des Gebäudes treten. Unter seinen Augen glitt eine schwarze Limousine langsam heran, und Virgil stieg ein. Der Wagen fuhr los und huschte zu schnell vorbei, als dass Rickydas Nummernschild oder sonst irgendwelche besonderen Merkmale hätte erkennen können, selbst wenn er so umsichtig und geistesgegenwärtig gewesen wäre, sich darum zu kümmern.
Zuweilen bilden sich vor den Stränden von Cape Cod, oben in Wellfleet in der Nähe seines Ferienhauses, starke Kabbelungen, die recht gefährlich, gelegentlich sogar tödlich sein können. Diese
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