Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
Vom Netzwerk:
flüsterte er vor sich hin.
    Zimmerman habe exakt um vierzehn Uhr siebenunddreißig in einer nahe gelegenen U-Bahn-Station beschlossen, seine Behandlung abzubrechen.
    Das ergab keinen Sinn.
    Er sah über die Schulter und entdeckte eine Reihe Telefonzellen an der Ecke. Er ging hin und warf eine Vierteldollar-Münze ins Münztelefon, bevor er hektisch Zimmermans Nummer eintippte. Wieder tutete es ein Dutzend Mal, ohne dass sich jemand meldete.
    Diesmal allerdings war Ricky erleichtert. Wenn bei Zimmerman zu Hause niemand ans Telefon ging, war es auch zwecklos, bei dem Mann an die Tür zu klopfen, obgleich er sich wunderte, dass Zimmermans Mutter nicht abnahm. Ihrem Sohn zufolge war sie die meiste Zeit bettlägerig, außer Gefecht gesetzt und kränkelnd, abgesehen davon, dass sie ungezügelt und beinahe unerschöpflich ärgerliche Forderungen und herabsetzende Bemerkungen vom Stapel ließ.
    Er hängte auf und trat zurück. Lange blickte er die Häuserfront entlang Richtung Zimmermans Wohnung und schüttelte schließlich den Kopf. Du musst diese Situation in den Griff bekommen, sagte er sich. Der Drohbrief, das Kind, das die pornografischen Bilder bekam, das plötzliche Erscheinen einer nackten und ziemlich umwerfenden Frau in seiner Praxis hatten ihn gänzlich aus dem Tritt gebracht. Er musste indem Wust der Ereignisse wieder Ordnung schaffen und dann durch das verwirrende Wechselspiel in seinem Innern einen geraden Weg finden. Nur weil er Angst hatte und daher zu überstürzten Handlungen neigte, brauchte er noch lange nicht knapp ein ganzes Jahr Analyse mit Zimmerman aus dem Fenster zu werfen.
    Es beruhigte ihn, sich diese Dinge zu sagen. Entschlossen, wieder nach Hause zu gehen und für seinen Urlaub zu packen, machte er kehrt.
    Doch sein Blick fiel auf den Eingang zur U-Bahn-Station Neunundzwanzigste Straße. Wie so viele andere Stationen war auch diese hier nicht mehr als ein paar Treppen, die in die Erde hinunterführten, mit einem unscheinbaren gelb beschrifteten Schild darüber. Er lief darauf zu, blieb am obersten Treppenabsatz einen Moment stehen und merkte, wie ihn im Hinuntergehen das beklemmende Gefühl überkam, dass er einer Täuschung unterlag, dass gerade eben die Wahrheit langsam aus dem Nebeldunst tauchte und Gestalt annahm. Seine Schritte hallten auf den Stufen. Künstliches Licht surrte über seinem Kopf und spiegelte sich in den Fliesen an den Wänden. In der Ferne donnerte ein Zug durch einen Tunnel. Ihm stieg ein muffiger, ältlicher Geruch in die Nase, aus einem nach Jahren wieder geöffneten Wandschrank, gefolgt von der abgestandenen Hitze, die sich tagsüber in dem unterirdischen Glutofen gesammelt hatte und erst jetzt langsam abzukühlen begann. Um diese Zeit waren nur wenige Menschen in der Station, und er entdeckte eine einzige schwarze Frau, die im Schalterhäuschen arbeitete. Er wartete einen Moment, bis sie die Leute los war, die Münzen brauchten, und ging zu ihr hin. Er beugte sich zu dem runden Metallsprechfilter in ihrer Plexiglasscheibe vor.
    »Entschuldigen Sie«, sagte er.
    »Brauchen Sie Münzen? U-Bahn-Plan? Da drüben ist einer an der Wand.«
    »Nein«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Ich hätte nur gern gewusst, also, ich weiß, das klingt seltsam …«
    »Was wollen Sie, Schätzchen?«
    »Also, ich wollte nur wissen, ob hier heute Nachmittag was passiert ist. Heute Nachmittag …«
    »Das müssen Sie die Polizei fragen«, sagte sie kurz angebunden. »Das war vor meiner Schicht.«
    »Aber was …«
    »Ich war nich da, hab nix gesehen.«
    »Aber was ist denn überhaupt passiert?«
    »’n Typ hat sich vorn Zug geschmissen. Oder is gefallen, kann ich nich sagen. Die Cops waren da und auch schon wieder weg, als mein Dienst anfing. Haben die Schweinerei sauber gemacht un’n paar Zeugen aufgegabelt. Das isses auch schon.«
    »Was für Cops?«
    »Von der
Transit
, öffentliche Verkehrsmittel. Sechsundneunzigste Ecke Broadway. Reden Sie mit denen. Ich weiß überhaupt nix Genaues.«
    Als Ricky zurücktrat, krampfte sich ihm der Magen zusammen, schwindelte ihm der Kopf, und er musste sich fast übergeben.
    Er brauchte Luft, und in der U-Bahn-Station gab es keine. Ein Zug kam herein und erfüllte die Gewölbe mit einem gleichmäßig kreischenden Geräusch, als wäre das Halten an einer Station die wahre Tortur. Das Geräusch schwappte über ihn herein und schlug ihm ans Trommelfell.
    »Alles okay, Mister?«, übertönte die Frau im Schalter den Krach. »Sie sehen so aus, als wär

Weitere Kostenlose Bücher