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Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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sobaldein paar ferne Familienmitglieder Wind davon bekommen hatten, wieviel dieses Filetstück von einem Cape-Grundstück tatsächlich wert war. Er musste grinsen, wenn er die Ironie bedachte, dass Leute, die er kaum kannte, sich jetzt um sein Grundstück stritten, während er sich vor Monaten zum Sterben gezwungen sah, um einen von ihnen vor dem Verfolger zu schützen, der ihm in jener Nacht bereits auf den Fersen war.
    Als er unter den Bäumen hervortrat, sah er, worauf er gehofft hatte: die verkohlten Überreste seines Hauses. Selbst zu dieser Jahreszeit, in der alles spross und wucherte, war der Boden einige Meter um das dürre Skelett des alten Bauernhauses immer noch schwarz.
    Ricky ging zu der Stelle, an der einmal die Haustür gewesen war, und stapfte durch das Unkraut, das seinen einstigen Garten bedeckte. Er trat ein und bewegte sich langsam in der Ruine seines Heims. Er meinte, selbst nach einem Jahr noch Benzin und verbranntes Holz zu riechen, merkte aber schnell, dass ihm seine Phantasie einen Streich spielte und die Wahrnehmung reine Einbildung war. In der Ferne ertönte Donnergrollen, doch er ignorierte es und tastete sich so gut er konnte durch die Hohlräume zwischen den Trümmern, während er das Haus im Geist durch die Wände und die Möbel, die Kunstwerke und die Teppiche ergänzte. Und als die Erinnerung sein altes Zuhause wieder aufgerichtet hatte, ließ er zu, dass sie einzelne Momente mit seiner Frau hineinmalte, aus den glücklichen Tagen vor ihrer Krankheit, bevor sie ihre Kraft, Vitalität und schließlich das Leben verlor. Seine Wanderung durch den Trümmerhaufen war angenehm und gespenstisch zugleich. Auf seltsame Weise trafen Rückkehr und Aufbruch hier zusammen, und er hatte das eigenartige Gefühl, als träte er in dieser Nacht zu einem Abenteuer an, dasihn ganz woanders hinbringen würde und dass er dann endgültig allem, was Dr. Frederick Starks ausmachte, Lebewohl sagen konnte, um danach den Menschen willkommen zu heißen, der aus der schnell hereinbrechenden Nacht hervorgehen würde.
    Die Stelle, nach der er gesucht hatte, wartete auf ihn, und zwar direkt neben dem Hauptschornstein, der zu dem Kamin im Wohnzimmer gehört hatte. Ein Stück Decke sowie schwere Holzbalken waren seitlich eingestürzt und bildeten eine Art wackligen Anbau, beinahe wie eine Höhle. Ricky zog sich den Poncho über, setzte sich den Moskitohut auf und zog die Taschenlampe wie auch die Pistole aus seinem Rucksack. Dann verkroch er sich wieder im Dunkel der Trümmer und wartete auf die Nacht, das Gewitter und auf das Eintreffen des Mörders.
    Er hatte durchaus Sinn für den Witz der Situation: Was hatte er getan? Er hatte sich wie ein Psychoanalytiker verhalten. Er hatte bei dem Mann, den er sehen wollte, heftigste, unkontrollierbare Emotionen geweckt. Selbst der Psychopath, dachte Ricky, war nicht gegen seine eigenen Wünsche gefeit. Und da saß er nun wie in den vielen Jahren seiner Analytikerpraxis und wartete, dass der letzte Patient zur Tür hereinkam und all die Wut und den Hass und den Zorn mitbrachte, die sich gegen Ricky, den Therapeuten, richteten.
    Er legte den Finger in den Abzugsbügel seiner Waffe und entsicherte. Diese Sitzung allerdings sollte nicht so harmlos wie sonst verlaufen.
    Er lehnte sich zurück und taxierte jedes Geräusch, prägte sich jeden Schatten ein, der sich in das Dunkel dehnte, das ihn umgab. Die Sicht würde in dieser Nacht zum Problem. Der Mond würde nicht durch die Wolken dringen. Die Lichter von den Häusern der Umgebung und vom fernen Provincetownwürden im Regen untergehen. Worauf Ricky seine Hoffnungen setzte, war eine Mischung aus Gewissheit und Unsicherheit: Das Terrain, das er sich ausgesucht hatte, war ihm so vertraut wie nichts sonst auf der Welt. Das wäre schon einmal ein Vorteil. Doch was noch wichtiger war: Er baute auf Rumpelstilzchens Unsicherheit. Er würde nicht wissen, wo genau Ricky sich befand. Er war gewohnt, über die Situation, in der er agierte, vollkommene Kontrolle zu haben, und dies hier war, wie Ricky hoffte, eine Situation, die ihm denkbar wenig Spielraum ließ. Eine für den Killer ungewohnte Welt.
    Ricky war sich so gut wie sicher, dass der Killer kommen und schon bald nach ihm suchen würde. Auf der Fahrt von New York Richtung Osten würde dem Mörder dämmern, dass es für Ricky nur zwei Stellen gab, an denen er ihn erwarten konnte: den Strand, an dem er sein Ertrinken vorgetäuscht, und das Zuhause, das er niedergebrannt hatte. Er würde

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