Der Patient
wirkungsvollsten verschwand, wenn er das Gegenteil implizierte. Wenn er die Leute in dem Glauben ließ, sein Abgang sei nur vorübergehend. So blieb Richard Livelys Bankkonto, wenn auch mit einem bescheidenen Guthaben, intakt.
Er kündigte keine Kreditkarten oder Bibliotheksmitgliedschaften. Er erklärte seinem Vorgesetzten bei der Universitäts- Hausmeisterei, familiäre Schwierigkeiten an der West-küste zwängen ihn, dort für ein paar Wochen persönlich nach dem Rechten zu sehen. Sein Chef hatte Verständnis, sagte Ricky nur ungern, er könne nicht versprechen, ob seine Stelle so lange auf ihn warten würde, er werde aber sein Bestes tun, um ihn wieder zu übernehmen.
Ein ähnliches Gespräch fand mit seinen Vermieterinnen statt, denen er erklärte, er könne nicht sicher sagen, wie lange er wegbleiben würde. Er zahlte ihnen einen zusätzlichen Monat Miete im voraus. Sie hatten sich an sein Kommen und Gehen gewöhnt und sagten wenig, auch wenn die Art, wie die ältere der beiden Frauen ihn ansah und seine Erklärungen aufnahm, Ricky suggerierten, dass sie sein endgültiges Verschwinden ahnte. Ricky bewunderte diese Tugend: scheinbar etwas, das jemand sagt, für bare Münze nehmen, während man instinktiv um die verheimlichte Wahrheit weiß. Dennoch ließ Ricky so viel wie möglich von seinen Sachen zurück, um die Fiktion von seiner Rückkehr zu unterstreichen, auch wenn sie ihm nicht ganz abgenommen wurde. Kleider, Bücher, einen Radiowecker, die bescheidenen Dinge, die er angesammelt hatte, während er sich in seinem neuen Leben einrichtete. Was er mitnahm, beschränkte sich auf ein paar Kleidergarnituren und seine Waffe. Was er zurückließ, musste dokumentieren, dass er dagewesen war und vielleicht zurückkommen würde –ohne jedoch preiszugeben, wer er war und wo er vielleicht tatsächlich hingegangen war.
Als er zu Fuß das Haus verließ, packte ihn ein Anflug von Wehmut. Falls er das Wochenende überlebte, und seine Chancen standen fünfzig zu fünfzig, dann würde er nie hierher zurückkommen. Er hatte ein unbeschwertes, vertrautes Verhältnis zu dieser überschaubaren kleinen Welt entwickelt, und es machte ihn traurig, ihr den Rücken zu kehren. Doch er gab der Empfindung eine neue Richtung und versuchte, daraus Kraft für die bevorstehenden Ereignisse zu schöpfen.
Um die Mittagszeit nahm er einen Trailways-Bus nach Boston, dieselbe Strecke, die er damals gekommen war. Er hielt sich nicht lange in der Bostoner Endstation auf, nur gerade lange genug, um sich zu fragen, ob der richtige Richard Lively noch am Leben war, und mit dem Gedanken zu spielen, einen Abstecher nach Charlestown zu machen und zu sehen, ob er den Mann in irgendeinem der Parks oder der engen Sträßchen auftreiben konnte, in denen er ihm so eifrig hinterher gelaufen war. Natürlich wusste Ricky, dass er dem Mann nichts zu sagen hatte, außer seinem Dank dafür, dass er ihm die Chance zu einer fragwürdigen Zukunft verschafft hatte. Wie dem auch sei, er hatte keine Zeit. Der Freitagnachmittagsbus fuhr die Strecke zum Cape, und während er im hinteren Teil auf einen Sitzplatz rutschte, merkte er, wie sich sein Puls beschleunigte. Inzwischen haben sie das Gedicht gelesen, dachte er. Und Merlin hat den Mann bei der Anzeigenaufnahme ausgequetscht.
In diesem Moment reden sie. Ricky konnte sich ausmalen, wie die Argumente hin und her gingen. Doch er brauchte sie nicht wirklich zu hören, denn er wusste, zu welchem Ergebnis sie kommen würden. Er sah auf seine Armbanduhr.
Er wird bald aufbrechen, dachte Ricky. Er wird so schnell wiemöglich fahren, um das Ende einer Geschichte herbeizuführen, die anders gelaufen ist als geplant.
Ricky schmunzelte. Er sah, dass er einen großen Vorteil hatte. Rumpelstilzchen lebte in einer Welt, die endgültige Lösungen kannte. Bei Ricky war es umgekehrt. Zu den Maximen der Psychoanalyse gehört es, dass selbst dann, wenn die Sitzungen vorbei sind und die tägliche Therapie zum Abschluss kommt, der Prozess noch lange nicht vollendet ist. Die Therapie führt bestenfalls ein neues Selbstverständnis herbei, die eine neue Einschätzung des eigenen Lebens eröffnet und die Weichenstellungen für die Zukunft beeinflusst. Im besten Falle werden diese Entscheidungen nicht mehr von den Ereignissen der Vergangenheit eingeengt und der Betreffende kann – von der Hypothek seiner Erziehung befreit – unbelastet wählen. Er hatte das Gefühl, dass er sich dieser Art von offenem Ende näherte.
Entweder war es
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