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Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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sofort, was er vor sich hatte: einen Mann mit einem Nachtsichtgerät.
    Er erstarrte, während ihm zugleich bewusst wurde, dass dieverwegene Kostümierung in dem Poncho und dem Insektenhut seine beste Verteidigung war. Mitten unter den verkohlten Brocken und Balkenresten und dem ganzen verbrannten Schutt würde er wie ein Teil der verkeilten Ruine erscheinen. Wie ein Chamäleon, das seine Farbe entsprechend den Blättern wechselt, in denen es hockt, verharrte auch Ricky auf der Stelle und hoffte, dass äußerlich nichts zu erkennen war, was auch nur im mindesten die Gegenwart eines Menschen verriet.
    Die Gestalt bewegte sich sachte.
    Ricky hielt den Atem an. Er wusste nicht, ob er entdeckt worden war.
    Er musste alle Willenskraft zusammennehmen, um sich nicht vom Fleck zu rühren. Die schiere Panik kroch in ihm hoch, und alles in ihm schrie danach, loszurennen, solange er noch die Möglichkeit hatte. Doch er hielt dagegen, dass er nur dann eine Chance besaß, wenn er blieb, wo er war. Nach allem, was geschehen war, musste er den Mann, der sich da durch die Dunkelheit bewegte, auf Armeslänge vor sich haben. Die Gestalt bewegte sich so eben erkennbar und vorsichtig, wenn auch nicht ängstlich, leicht vornübergebeugt, so dass sie wenig Angriffsfläche bot, gleich einem erfahrenen Raubtier.
    Ricky ließ den angehaltenen Atem mit einem langgezogenen Pusten heraus. Er hat mich nicht gesehen. Die Gestalt erreichte jetzt den ehemaligen Garten, und Ricky beobachtete, wie der Mann zögerte. Er sah, dass er, passend zu der dunklen Kleidung, Kopf und Gesicht verhüllt hatte. Die Gestalt schien viel mehr ein Teil der Nacht zu sein als eine Person. Wieder wurde etwas hochgehoben, und wieder wurde Ricky vor Anspannung siedend heiß, als das Nachtsichtgerät über die Trümmer des Hauses glitt, in dem er einmal glücklich gewesen war. Aber auch diesmal verhüllte der Poncho seine Gestalt,so dass er zu einem Teil des Trümmerhaufens wurde und der Mann frustriert innehielt. Ricky sah, wie er die Hand mit dem Nachtsichtgerät fallen ließ, als hätte er die Umgebung abgehakt.
    Die Gestalt trat eine Spur aggressiver vor und stand jetzt im ehemaligen Eingangsbereich, um die Ruine zu durchsuchen. Dann machte er noch einen Schritt, stolperte leicht, und Ricky hörte einen unterdrückten Fluch.
    Er weiß, dass ich eigentlich hier sein muss, dachte Ricky. Aber jetzt kommen ihm Zweifel.
    Ricky biss die Zähne zusammen. Er verspürte einen kalten, mörderischen Drang wie die Spitze eines Pfeils. Jetzt bist du dir nicht mehr sicher, dachte er. Damit hast du nicht gerechnet. Und jetzt kommen dir Zweifel. Zweifel, Frustration und all die aufgestaute Wut darüber, dass du mich nicht damals umgebracht hast, wo es ein Kinderspiel gewesen wäre. Das ist eine gefährliche Kombination, weil es dich zwingt, Dinge zu tun, die du normalerweise nicht tun würdest. Mit jedem Schritt wirfst du Vorsichtsmaßnahmen über den Haufen. Plötzlich wirst du unsicher und spielst das Spiel nach meinen Regeln. Denn Dr. Starks kennt dich jetzt und weiß, was dir durch den Kopf geht, was du fühlst, all die Unentschlossenheit, die Verwirrung macht sein Leben aus, nicht deins. Du bist ein Killer, der die Zielperson nicht klar erkennt, und das nur, weil ich es so eingerichtet habe.
    Ricky betrachtete die Gestalt. Komm näher, sagte er in Gedanken.
    Der Mann trat vor, stolperte erneut über einen Klotz, der einmal ein Dachsparren gewesen war, und versuchte, durch einen Raum zu gehen, den er nicht kannte.
    Er blieb stehen und trat gegen die Trümmer.
    »Doktor Starks«, flüsterte der Mann, so wie ein Schauspielerauf der Bühne ein Geheimnis mit dem Publikum teilt. »Ich weiß, dass Sie hier sind.«
    Die Stimme schnitt wie eine stumpfe Rasierklinge durch die Nacht.
    »Kommen Sie raus, Doktor. Es ist Zeit, die Sache zu Ende zu bringen.«
    Ricky rührte sich nicht. Antwortete nicht. Er spürte, wie sich jeder Muskel in seinem Körper zum Zerreißen spannte. Doch Ricky hatte nicht Jahre hinter der Couch verbracht und die provozierendsten Äußerungen mit Schweigen quittiert, um auf die Forderung der Gestalt hereinzufallen.
    »Wo stecken Sie, Doktor«, fuhr der Mann fort und drehte sich dabei in alle Richtungen. »Sie waren nicht am Strand. Also müssen Sie hier sein, denn Sie sind ein Mann, auf dessen Wort man zählen kann. Und Sie haben gesagt, Sie wären hier.«
    Der Mann ging weiter und tastete sich von einem Schatten zum anderen vor. Wieder stolperte er und stieß mit dem

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