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Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Mann. Ich war sein Arzt. Ich müsste Genaueres erfahren …«
    »Arzt, sagen Sie? Was für ein Arzt?«
    »Er war seit einem Jahr bei mir in psychoanalytischer Behandlung.«
    »Sie sind Seelenklempner?«
    Ricky nickte.
    »Interessanter Job, so was«, sagte der Beamte. »Benutzen Sie da auch so ’ne Couch?«
    »Ja.«
    »Kein Scheiß? Und den Leuten fällt auch immer noch was ein? Also, wenn ich mich da drauflegen würde, wäre ich wahrscheinlich schon weg, sobald ich den Kopf hinlege. Ein Gähner,und die Lichter gehen aus. Aber die Leute kommen da richtig in Fahrt, hab ich Recht?«
    »Manchmal.«
    »Cool. Na ja, einem von denen fällt jetzt nix mehr ein. Durch die Doppeltür, den Flur entlang, Zimmer auf der linken Seite. Riggins hat sich den Fall unter den Nagel gerissen. Oder was davon übrig war, nachdem der Expresszug von der Eighth Avenue durchgekommen war. Wenn Sie mehr wissen wollen, da sind Sie richtig. Reden Sie mit Detective Riggins.«
    Der Polizist wies auf eine Flügeltür zu den Eingeweiden der Station. Als er die Hand ausstreckte, ertönte aus einem Raum, der abwechselnd unter und über ihnen zu sein schien, ein anund abschwellender Laut. Der Sergeant grinste. »Der Typ schafft mich noch, bevor die Nacht zu Ende ist«, sagte er, während er sich abwandte, einen Stapel Papiere nahm und ihn mit einem Knall wie aus einer Pistole zusammenheftete. »Wenn der nicht bald die Klappe hält, brauche ich nach der Schicht selber einen Seelenklempner. Sie sollten sich eine tragbare Couch zulegen, Doc.« Er lachte und scheuchte Ricky mit einer wedelnden Handbewegung, von der seine Papiere raschelten, in die angegebene Richtung.
     
    Zu seiner Linken befand sich eine Tür mit der Aufschrift KOMMISSARIAT, durch die Ricky Starks ein kleines Büro mit einem Gewirr aus schmuddeligen grauen Stahlschreibtischen unter noch mehr von diesen grässlich grellen Deckenleuchten betrat. Er blinzelte einen Moment, als ob ihm Salzwasser in den Augen brannte. Ein Detective in weißem Hemd und roter Krawatte, der am vordersten Tisch saß, blickte zu ihm auf.
    »Sie wünschen?«
    »Detective Riggins?«
    Der Beamte schüttelte den Kopf. »Nö, ich doch nicht. Sie ist da hinten und redet gerade mit den letzten von den Leuten, die den Springer heute zu Gesicht bekommen haben.«
    Ricky sah sich in den Räumlichkeiten um und entdeckte eine Frau kurz vor den mittleren Jahren, die ein hellblaues Buttondown-Hemd zu einer gestreiften Ripskrawatte trug – wobei der Schlips ihr eher wie eine Schlinge lose vor der Kehle hing –, dazu eine graue Hose, die mit der Raumausstattung zu verschmelzen schien, und ein wenig passendes Paar weiße Laufschuhe mit einem orangefarbenen Neonstreifen an der Seite. Ihr aschblondes Haar war straff aus dem Gesicht gekämmt und zu einem Pferdeschwanz gebunden, wodurch sie ein wenig älter wirkte als Mitte dreißig, auf die Ricky sie schätzte. An den Augenwinkeln hatten sich Erschöpfungsfältchen eingegraben. Die Kommissarin sprach gerade mit zwei halbwüchsigen schwarzen Jungen, beide in krass übertriebenen Baggy-Jeans, dazu Baseballkappen so schief auf dem Kopf, als seien sie festgeklebt, damit sie nicht herunterrutschten. Wäre Ricky auch nur ein bisschen weltläufiger gewesen, dann hätte er gewusst, dass dies der neuesten Mode entsprach, doch so fand er ihre Erscheinung nur höchst seltsam und etwas irritierend. Bei einer Begegnung auf dem Bürgersteig hätte ihn dieses Gespann wohl erschreckt.
    Der Beamte, der vor ihm saß, fragte ihn plötzlich: »Kommen Sie wegen dem Springer heute in der Zweiundneunzigsten Straße?«
    Ricky nickte. Der Mann nahm sein Telefon. Er deutete auf ein halbes Dutzend Holzstühle, die an einer Wand des Büros aufgereiht waren. Nur einer dieser Stühle war derzeit besetzt – von einer verwahrlosten, verdreckten Frau unbestimmten Alters, deren drahtiges, silbergraues Haar in alle Richtungen zu explodieren und die Selbstgespräche zu führen schien. DieFrau trug einen abgewetzten Mantel, den sie immer enger um den Körper zog, während sie sich, wie um den Strom zu entladen, unter dem sie stand, kaum merklich wiegte. Obdachlos und schizophren, lautete Rickys Ad-hoc-Diagnose. Seit seinem Studium war er beruflich mit diesem Krankheitsbild nicht mehr in Berührung gekommen, auch wenn er im Lauf der Jahre auf den New Yorker Bürgersteigen vielen solcher Leute begegnet und wie alle anderen auch mit beschleunigten Schritten vorbeigelaufen war. In den letzten Jahren war die Zahl der

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