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Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Obdachlosen wohl zurückgegangen, doch Ricky vermutete, dass sie einfach nur durch politische Manöver in andere Stadtviertel abgeschoben wurden, damit die enthusiastischen Touristen und die Betuchten auf ihrem Weg durchs Zentrum von Manhattan ihnen nicht gar so oft begegneten.
    »Nehmen Sie einfach da drüben neben LuAnne Platz«, sagte der Beamte. »Ich geb Riggins Bescheid, dass sie noch einen brandheißen Zeugen zu vernehmen hat.«
    Als er den Namen der Frau hörte, erstarrte Ricky. Er holte tief Luft und ging zu der Stuhlreihe hinüber.
    »Darf ich mich setzen?«, fragte er und zeigte auf einen Stuhl neben der Frau. Sie sah ein wenig erstaunt zu ihm auf.
    »Er will wissen, ob er hier sitzen darf. Wer bin ich denn? Der Heilige Stuhl? Was soll ich sagen? Ja? Nein? Er kann sitzen, wo er will.«
    LuAnne hatte dreckige, abgebrochene Fingernägel mit schwarzen Rändern. Ihre Hände waren vernarbt und voller Blasen, und an einer prangte ein Schnitt, der sich entzündet hatte, so dass rund um die rotbraune Kruste die geschwollene Haut blauviolett schimmerte. Ricky vermutete, dass die Wunde schmerzhaft war, sagte jedoch nichts. LuAnne rieb sich die Hände wie ein Koch, der Salz über das Essen streut.
    Ricky ließ sich auf den Sitz neben ihr fallen. Er rutschte hinund her, wie um es sich bequem zu machen, und fragte schließlich: »Dann waren Sie, LuAnne, also in der U-Bahn-Station, als der Mann auf die Gleise fiel?«
    LuAnne starrte in die gnadenlos grelle Beleuchtung an der Decke. Sie schüttelte sich ein wenig, bevor sie sagte: »Er will wissen, ob ich da war, als der Mann vor den Zug geriet? Ich sollte ihm sagen, was ich gesehen habe, das viele Blut und all die schreienden Leute, schrecklich war das, dann kam die Polizei.«
    »Leben Sie in der U-Bahn-Station?«
    »Er will wissen, ob ich da lebe, also, manchmal, sollte ich ihm sagen, manchmal lebe ich da.«
    Nach einiger Zeit wandte LuAnne den Blick von den Leuchten ab, blinzelte heftig und fuhr mit dem Kopf hin und her, als sähe sie überall Gespenster. Dann endlich drehte sie sich zu Ricky um. »Ich hab’s gesehen«, sagte sie. »Waren Sie auch da?«
    »Nein«, erwiderte er. »Ich kannte den Mann, der gestorben ist.«
    »Wie traurig.« Sie schüttelte den Kopf. »Wie traurig für Sie. Ich hab auch Leute gekannt, die gestorben sind. Traurig für mich.«
    »Ja«, antwortete er, »das ist es.« Er zwang sich zu einem schwachen Lächeln in LuAnnes Richtung. Sie gab es zurück. »Sagen Sie, LuAnne, was haben Sie gesehen?«
    Sie hüstelte ein-, zweimal, wie um sich zu räuspern. »Er will wissen, was ich gesehen habe«, sagte sie in Rickys Richtung, wenn auch nicht direkt zu ihm. »Er will was über den Mann wissen, der gestorben ist, und dann über die hübsche Frau.«
    »Was für eine hübsche Frau?«, fragte Ricky und zwang sich, Ruhe zu bewahren.
    »Er weiß nichts von der sehr hübschen Frau.«
    »Nein. Aber jetzt haben Sie mich neugierig gemacht«, sagte er, um sie sachte zum Reden zu bringen.
    LuAnnes Blick schien in die Ferne zu driften und sich auf etwas außerhalb ihrer Sichtweite wie auf eine Fata Morgana zu konzentrieren. »Er will wissen«, fuhr sie in beiläufig freundlichem Ton fort, »dass die hübsche Frau zu mir kam, direkt nachdem der Mann, zack, da runter ist. Und sie redet ganz leise mit mir, sie sagt, hast du das gesehen, LuAnne? Hast du gesehen, wie dieser Mann vor den Zug gesprungen ist? Hast du gesehen, wie er einfach über die Kante getreten ist, als der Zug durchkam, es war nämlich der Expresszug, siehst du, der hält hier nicht, nein, grundsätzlich hält der hier nicht, man muss den lokalen nehmen, wenn man einsteigen will, und wie er da einfach runterspringt! Schrecklich, einfach schrecklich! LuAnne, sagt sie zu mir, hast du gesehen, wie er sich das Leben genommen hat? Es hat ihn keiner geschubst, LuAnne, sagt sie. Keiner. Das musst du unbedingt in den Schädel bekommen, LuAnne, keiner hat den Mann geschubst und zack!, er hat einfach einen Schritt nach vorn gemacht, sagt die Frau. So traurig. Konnte wohl plötzlich nicht anders, wollte unbedingt sterben und zack!, und dann ist da noch ein Mann direkt bei ihr, direkt bei der sehr hübschen Frau, und er sagt, LuAnne, du musst der Polizei sagen, was du gesehen hast, sag denen, dass du gesehen hast, wie der Mann einfach an den anderen Männern und Damen vorbeigegangen und gesprungen ist, zack! Tot. Und dann sagt die schöne Frau zu mir, LuAnne, sagt sie zu mir, das wirst du der Polizei sagen,

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