Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
Vom Netzwerk:
Ihnen nich gut.«
    Er nickte und flüsterte eine Antwort, die sie zweifellos nichthören konnte. »Mir fehlt nichts«, sagte er, doch das war offensichtlich gelogen. Wie ein Betrunkener, der versucht, sich durch gewundene Straßen zu manövrieren, schwankte Ricky zum Ausgang.

5
     
    Alles an der Welt, die Ricky an diesem Abend betrat, war ihm fremd.
    Was er in der Station der Transit Police an der Sechsundneunzigsten Ecke Broadway zu sehen, hören und riechen bekam, erschien ihm wie ein Fenster zur Stadt, durch das er noch nie gesehen hatte und von dessen Existenz er nur eine vage Ahnung besaß. Schon an der Eingangstür zur Station schlug ihm ein schwacher Geruch nach Urin und Erbrochenem entgegen, der mit dem strengeren Odeur nach starken Desinfektionsmitteln um die Vormacht kämpfte. Als ob sich jemand heftig übergeben hätte, dachte er, und man hinterher nur notdürftig und hastig sauber gemacht hätte. Es war so penetrant, dass er stehen blieb und ein eigentümliches Getöse über ihn hereinbrach, eine Verschmelzung aus Surrealem und Routine. Irgendwo aus einem Zellentrakt brüllte ein Mann unverständliches Kauderwelsch, ein Wortgebräu, das losgelöst von allem anderen im Eingang widerhallte. Eine wütende Frau hielt ein weinendes Kind über den robusten, hölzernen Wachtisch des Sergeants, während sie ein Schnellfeuer an spanischen Flüchen über ihn niederprasseln ließ. Beamte liefen, die hellblauen Hemden von der anhaltenden Hitze des Tages verschwitzt, an ihm vorbei; ihre ledernen Waffengürtel setzten einen Kontrapunkt zum Quietschen ihrer polierten, schwarzen Schuhe. Irgendwo klingelte ein Telefon vergeblich vor sich hin. Es herrschte ein Kommen und Gehen, Lachen und Weinen,durchsetzt von den Ausbrüchen an Obszönitäten, die entweder von raubeinigen Polizisten kamen oder Gästen, in Handschellen zum Teil, die es gelegentlich unter das grelle Licht der Neonröhren im Eingangsbereich verschlug.
    Ricky schwankte herein, bestürmt von all diesen Eindrücken, und wusste nicht, was er als Nächstes tun sollte. Plötzlich fegte ein Cop an ihm vorbei, »Platz da, Mann, Durchgang frei …«, so dass er nach vorne stolperte, als hätte ihn jemand an einem Strick hereingezogen.
    Die Frau am Wachtisch hob die Faust und schüttelte sie gegen den Beamten, entlud ihren Zorn in einer deftigen Schimpfkanonade, drehte sich, nachdem sie das Kind einmal kräftig durchgerüttelt hatte, missmutig um und stürmte mit finsterem Blick an Ricky vorbei wie an einer lästigen Schabe. Ricky stolperte weiter auf den Beamten hinter dem Tisch zu. Jemand, der ungefähr da gestanden haben musste, wo Ricky jetzt stand, hatte heimlich SCHEISSE ins Holz geritzt, und keiner hatte es der Mühe wert gefunden, diese Meinungsäußerung zu entfernen.
    »Tut mir leid«, sagte Ricky, um sofort unterbrochen zu werden.
    »Keinem tut irgendwas je leid, Mann. Das sagen sie nur, aber keiner meint es so. Aber was soll’s, ich hör mir jeden an. Also schießen Sie los, was, glauben Sie, tut Ihnen leid?«
    »Nein, Sie haben mich missverstanden. Ich wollte sagen …«
    »Genauso wenig sagt irgendeiner, was er meint. Wichtige Lektion im Leben. Wär ganz hilfreich, wenn das mehr Leute in ihren Kopf bekämen.«
    Der Polizist war vermutlich Anfang vierzig und hatte ein unbekümmertes Grinsen im Gesicht, als wollte er sagen, nach allem, was er im Leben schon gesehen hatte, könne ihn nichts mehr erschüttern. Er war ein stämmiger Bursche mit Stiernackenund glattem schwarzen Haar, das er sich aus der Stirn gegelt hatte. Der Wachtisch war mit Formularen und Meldungen übersät, die kein Ordnungsprinzip erkennen ließen. Gelegentlich schnappte sich der Beamte ein paar davon und heftete sie mit einem altmodischen Gerät zusammen, so dass es jedes Mal laut knallte, bevor er ein Bündel in die Drahtablage warf.
    »Ich fang am besten noch mal von vorn an«, sagte Ricky in gereiztem Ton. Der Polizist grinste erneut und schüttelte den Kopf.
    »Keiner kann noch mal von vorn anfangen – nach meiner Erfahrung jedenfalls nicht. Wir sagen alle, dass wir irgendwie noch mal ganz von vorn anfangen, aber so läuft es eben nicht. Andererseits, wieso nicht? Versuchen Sie’s einfach mal, vielleicht sind Sie ja der Erste. Also, wie kann ich Ihnen helfen, mein Freund?«
    »Es gab heute einen Vorfall in der U-Bahn-Station Zweiundneunzigste. Ein Mann ist vor den Zug gefallen …«
    »Gesprungen, soviel ich weiß. Sind Sie ein Zeuge?«
    »Nein. Aber ich glaube, ich kenne den

Weitere Kostenlose Bücher