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Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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so.«
    »Interessanter Gedanke.« Der alte Arzt schien nachzusinnen.
    »Er könnte dasselbe Ziel erreichen und gleichzeitig sicherstellen, dass ihm niemals ein Polizist oder sonst ein Ermittler in die Quere kommt, indem er einfach nur lügt. Da würde niemand durchsteigen, oder? Und Sie wären tot oder ruiniert. Das ist diabolisch. Und raffiniert auf seine Weise.«
    »Ich glaube nicht, dass mir diese Art von Spekulation weiterhilft«, sagte Ricky. »Sieben Frauen in Behandlung, von denen eine ein Monster herangezogen hat. Welche?«
    »Führen Sie sie mir vor Augen«, sagte Dr. Lewis und deutete mit einer leichten Handbewegung nach draußen, auf die Nacht, die sie immer enger umschloss, als versuchte er, Rickys Erinnerungen aus dem Dunkel in den hell erleuchteten Raum zu dirigieren.

15
     
    Sieben Frauen.
    Von den sieben, die ihn im fraglichen Zeitraum aufsuchten, waren zwei verheiratet, drei andere verlobt oder fest liiert und zwei sexuell haltlos. Ihre Altersgruppe reichte von Anfang zwanzig bis Anfang dreißig. Alle waren das, was man gemeinhin als Karrierefrau bezeichnet – Börsenmaklerinnen, Chefsekretärinnen, Anwältinnen oder Geschäftsfrauen. Es gab in dieser Mischung auch eine Redakteurin und eine College-Professorin. Ricky dachte nach und führte sich die stattliche Reihe von Neurosen vor Augen, die diese Frauen in seine Praxis gebracht hatten. Sowie die Erkrankungen in seinem Kopf Gestalt annahmen, erinnerte er sich auch an den jeweiligen Behandlungsverlauf.
    Langsam stiegen Stimmen auf, bestimmte Sätze, die in seiner Praxis fielen. Von den einfachen, direkten Fragen des alten Arztes angespornt, der wie eine Krähe in seinem Sessel kauerte, stürmten besondere Momente, Durchbrüche, Erkenntnisse auf ihn ein. Er hätte nicht sagen können, wieviel Zeit darüber verging, er wusste nur, dass es spät geworden war. Ricky hielt – mitten im Erinnerungsfluss – plötzlich inne und starrte den Mann ihm gegenüber an. Dr. Lewis’ Augen funkelten immer noch von einer fast überirdischen Energie, die – wie Ricky dachte – vom schwarzen Kaffee kommen konnte, vielleicht aber auch von der Fülle der Erinnerungen oder etwas anderem, Verborgenem, das seinen Eifer anspornte.
    Ricky fühlte den kalten Schweiß am Hals. Er schob ihn auf die Luftfeuchtigkeit, die durch die geöffneten Fenster drang und einen erfrischenden Schauer verhieß, ohne das Versprechen zu halten.
    »Sie ist nicht dabei, Ricky, stimmt’s?«, fragte Dr. Lewis unvermittelt.
    »Das sind die Frauen, die ich in Behandlung hatte«, erwiderte er.
    »Und ausnahmslos mehr oder weniger mit Erfolg, nach allem, was Sie sagen und was ich aus Ihren Sitzungen bei mir damals in Erinnerung habe. Und alle führen, möchte ich wetten, nach wie vor ein relativ erfülltes Leben. Eine Kleinigkeit, die, wenn ich das hinzufügen darf, mit ein wenig Detektivarbeit leicht zu klären wäre.«
    »Aber was …«
    »Und Sie können sich an jede erinnern. Präzise und
en detail
. Und genau da stimmt etwas nicht, habe ich Recht? Weil die Frau, nach der Sie Ihr Gedächtnis erforschen, keine Kontur annimmt. Sie ist verdrängt, Ihrem Erinnerungsvermögen entzogen und verschüttet.«
    Ricky stammelte etwas, brach jedoch mitten im Satz ab, weil die Wahrheit in dem, was Dr. Lewis sagte, auch ihm klar vor Augen stand.
    »Können Sie sich nicht an Ihre Fehlschläge erinnern, Ricky? Denn da müssen Sie Ihre Verbindung zu Rumpelstilzchen suchen. Nicht bei Ihren Erfolgen.«
    »Ich glaube, ich habe allen diesen Frauen dabei geholfen, die verschiedenen Probleme, mit denen sie kämpften, zu ordnen und einen Weg zu finden. Ich entsinne mich an niemanden, der in einer Krise abgebrochen hätte.«
    »Ah, ein milder Fall von Hybris, Ricky. Strengen Sie sich mehr an. Was hat Mr. R. Ihnen mit seinem Tipp verraten?«
    Ricky erschrak ein wenig, als der alte Analytiker dasselbe Kürzel wie Virgil benutzte. Er versuchte fieberhaft, sich zu erinnern, ob er selbst im Lauf des Abends den Ausdruck Mr. R. verwendet hatte, stieß jedoch auf kein einziges Beispiel. Sicher war er sich natürlich nicht. Möglicherweise hatte er es gesagt. Unsicherheit und nagende Zweifel schlugen ihm innerlich wie Wind entgegen. Er fühlte sich hin und her gerissen, fast schwindelig, und fragte sich, wo seine Fähigkeit geblieben war, sich an eine solche Kleinigkeit zu erinnern. Er rutschte auf seinem Sitz herum und hoffte, dass ihm der Schreck nicht allzu deutlich vom Gesicht oder seiner Körperhaltung abzulesen

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