Der Perfekte Eroberer
Patienten sich einzeln melden, glaubt man, es stimme etwas mit ihnen nicht, und versucht, dieses Problem in den Griff zu bekommen. Erst wenn sie sich abstimmen und scharenweise um Hilfe suchen würden, könnte sich die Erkenntnis aufdrängen, dass möglicherweise mit unserer Gesellschaft etwas im Argen liegt. »Ich möchte gern jemanden verführen, aber ich weiß, dass dahinter eine gehörige Portion Menschenverachtung steckt« lautete in den achtziger Jahren eine Kontaktanzeige in der Frankfurter Zeitschrift Pflasterstrand . Man hat den Eindruck, dass der Inserent eine zu jenem Zeitpunkt massiv verbreitete ideologische Botschaft mit ganzem Herzen aufgenommen hat: dass ein Mann, der an einer Frau erotisches Interesse zeigt, sie »nur als Lustobjekt wahrnimmt« und dass Verführung eine besondere Form der sexuellen Gewalt darstellt. Entsprechend ausgerichtete Texte gibt es ja vor allem von radikalen Feministinnen in großer Zahl. Die ausufernde Definition von »sexueller Belästigung« hat dazu geführt, dass manche unsicheren Männer sich schon als halbe Straftäter fühlen, wenn sie einer Kollegin nur mal ein erotisch gefärbtes Kompliment machen möchten. »Sexuelle Belästigung ist es, wenn eine Annäherung unwillkommen ist und wenn sich eine Frau belästigt fühlt«, erklären uns die gängigen feministischen Texte. Ob dies der Fall ist, erfährt man als Mann indes oft erst, wenn man einen Versuch der Annäherung unternommen hat. Noch dazu werden in zahlreichen Kino- und Fernsehfilmen Männer längst nicht mehr
als erfolgreiche Eroberer und Verführer gezeigt, an denen man sich als eine Art Vorbild orientieren könnte, sondern vielmehr als eine Art unbeholfener, peinlicher Trottel, die bei Kontaktversuchen über ihre eigenen Füße stolpern und sich deshalb entweder zum Gespött machen oder sich eine Ohrfeige einfangen. Der Versuch der Kontaktanbahnung sickert so mindestens in das Unterbewusstsein männlicher Zuschauer als ein Unterfangen ein, aus dem sie nur als Verlierer hervorgehen können und das sie deshalb vielleicht besser vermeiden sollten.
Frauen wiederum wurde über lange Zeit hinweg vermittelt, eine Schlampe zu sein, wenn sie von sich aus sexuell forsch auf einen Mann zugingen. Hier stellt allerdings etwa Rüdiger Lautmann im pro familia magazin fest, dass sich diese Haltung mit der sogenannten Girlie-Generation geändert habe. Deren Devise laute: »Als Mädchen bin ich okay; wenn ich einen Mann brauche, dann nur zur Sexualität, und dafür nehme ich mir einen attraktiven.« Aber auch von älteren Frauen sind immer häufiger Sprüche zu hören wie: »Unter Johnny Depp fang ich erst gar nicht an zu flirten.« Manche Kritiker glauben hier einen sogenannten »Brad-Pitt-Darwinismus« zu erkennen: Männer, die nicht dem Boygroup- oder GZSZ -Raster entsprechen oder nicht die »anzeigenüblichen« Attribute aufweisen, würden bei der Partnersuche zum Beispiel auf dem Campus immer mehr geächtet. Das lässt sich durch eine Sichtung von Kontaktanzeigen leicht bestätigen: Während Männer im Verlauf der letzten Jahrzehnte gelernt haben, nur ja keine Äußerlichkeiten in den Vordergrund zu stellen, haben viele junge Frauen solche Hemmungen nicht. »Bitte nur Zuschriften von Männern ohne Bauch, Bart und Brille, jung, groß und gut verdienend« sind keine seltenen Formulierungen mehr. Wenn Männer auf die gleiche Weise
auftreten würden, wären sie sofort als Macker und Chauvis diskreditiert. Es verwundert nicht, dass es immer weniger stürmische Eroberer und immer mehr zaghafte Abchecker gibt.
Etwas subtiler wird die gleiche Botschaft in Film und Fernsehen vermittelt. Dort wird den Zuschauern zwar nicht direkt gesagt , dass sie sich ohne Idealmaße erst gar nicht aus den eigenen vier Wänden heraustrauen sollten, aber allein durch die Tatsache, dass beispielsweise in den beliebten Daily Soaps fast ausschließlich attraktive Männer als erfolgreiche Liebhaber auftauchen, sickert bei so manchem Betrachter die Botschaft ins Bewusstsein, dass er mit seinem durchschnittlichen Aussehen nur zweite Wahl ist und bei der Partnersuche unweigerlich abblitzen wird.
WARUM SIND WIR NICHT ALLE SCHÜCHTERN?
Nach dem, was ich hier bisher ausgeführt habe, kann man schon fast zu der Einstellung gelangen: Wieso fragen wir uns bei all diesen Ursachen eigentlich, warum Leute schüchtern werden? Es ist ja schon fast ein Wunder, wenn jemand keine unsichere Befangenheit entwickelt! Die allermeisten von uns hatten schon irgendwelche
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