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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Läden rüttelte. «Aber noch ist nicht aller Tage Abend.»
    Benedikt war müde. Der erneute Sturm vorgestern Nacht hatte Bäume entwurzelt und Dächer abgedeckt, und heute hatten sie beide den ganzen Nachmittag damit verbracht, die Schäden an ihrem Dach auszubessern. Hoffentlich war im Wald nichts passiert. Morgen früh, so hatte er es mit dem Vater abgesprochen, wollte er hinaus, um nach dem Rechten zu sehen. Aus gebotenem Abstand heraus, selbstverständlich, und das stimmte ihn traurig. Denn schließlich konnte er die Seuche längst in sich tragen.
    Was sein eigenes Leben betraf, so machte ihm das Unheil, das über der Stadt lastete, keine Angst. Im Gegenteil. Sollte er doch kommen, dieser räudige Gevatter Tod. Er würde ihmseine Wut schon entgegenschleudern. Mehr noch: Ihm gefiel die Nähe zum Tod, denn damit war er Esther auf neue Weise verbunden. In letzter Zeit nämlich war sie ihm gar nicht mehr erschienen. Hatte seine Mutter also recht, und es war vorbei? Hatte Esthers Seele endgültig zur Ruhe gefunden?
    Als er am Nachmittag auf dem Dach gestanden und hinunter in Grünbaums Garten geblickt hatte, hatte es ihm schier das Herz zerrissen. Restlos verwahrlost war das Anwesen inzwischen, übersät mit Gerümpel und zerbrochenem Hausrat. Doch vor seinem inneren Auge wurde es wieder zu jenem kleinen Paradies, in dem er als Kind so viele Stunden mit Esther verbracht hatte. Plötzlich erinnerte er sich wieder daran, wie er sie manchmal heimlich aus seiner Dachluke beobachtet hatte, wenn sie mit ihren jüngeren Brüdern Fangen und Verstecken spielte und ihr langes, dunkles Haar vom Rennen zerzaust war. Oder wenn sie hatte Wäsche aufhängen müssen. Dann konnte man, sobald sie sich streckte, die hellbraune Haut ihrer Beine bis zu den Kniekehlen sehen, und Benedikts Herz hatte jedes Mal schneller zu schlagen begonnen.
    Ganz in Gedanken löffelte er von seinem Hirsebrei, bis er bemerkte, dass sein Vater keinen Bissen angerührt hatte.
    «Hast du keinen Hunger?»
    «Nein, mir ist nicht recht wohl.» Heinrich Grathwohl griff zittrig nach seinem Becher und trank.
    «War wohl zu viel für mich, da oben auf dem Dach. Bin ja auch nicht mehr der Jüngste. Morgen früh wird alles wieder im Lot sein. Kommst du dann und holst die Vorräte für den Wald?»
    «Vater? Du siehst gar nicht gut aus.»
    «Unsinn. Ein wenig erhitzt – von der Arbeit – es ist stickig hier herinnen   …» Er unterdrückte einen Hustenanfall.
    «Kann ich irgendwas für dich tun?»
    «Lass nur. Ich geh gleich schlafen. Schlaf hilft immer.»
    Als Benedikt hinaus in die Abenddämmerung trat, beschlich ihn ein ungutes Gefühl. Er hätte die Nacht über beim Vater bleiben sollen. Aber nachdem vor zwei Tagen schon wieder irgendwelche Halunken Bruchsteine vom Werkplatz gestohlen hatten, musste er dort nach dem Rechten sehen. Zwar wohnten seit kurzem auch der Hüttenschmied und der Koch wieder im Gesellenhaus, nachdem ihre Liebsten ihnen den Laufpass gegeben hatten. Doch die beiden waren vom Nachmittag an meist sturzbetrunken und daher als Aufpasser wenig geeignet.
    Auf der Großen Gass begegnete ihm ausgerechnet Filibertus Behaimer. Benedikt wollte schon die Straßenseite wechseln, doch der Medicus hatte ihn bereits entdeckt.
    «Ah, der junge Grathwohl! So spät noch unterwegs?»
    «Dasselbe könnte ich von Euch sagen.»
    «Nun – ich komme meiner Pflicht als Stadtarzt nach. Da kommt der Feierabend oft erst spät.»
    Benedikt verzog das Gesicht. «Seitdem Ihr oben auf der Burg wohnt, kommt Ihr dieser Pflicht nicht allzu häufig nach.»
    «Na, na! Was erlaubst du dir? Fühlst dich wohl selbst schon als Arzt?»
    «Was meint Ihr damit?»
    «Habe gehört, dass du jetzt deinem Vater zur Seite stehst. Hast wohl nichts mehr zu tun auf deiner Kirchenbauhütte?»
    Benedikt zuckte nur die Achseln. Er wollte weitergehen, doch der andere hielt ihn beim Ellbogen fest.
    «Nicht so gehetzt, junger Freund. Wie geht es deinem Herrn Vater? Ist er wohlauf?»
    «Was kümmert Euch das? Ihr seid ja fein heraus, da hoch droben auf der Burg.»
    «Du vergisst, dass ich auch der gräflichen Familie verpflichtet bin. Aber glaub mir: Deinem Vater gilt meine ganze Hochachtung. Grüße ihn doch beim nächsten Mal von mir.»
    Das werde ich ganz sicher nicht tun, dachte Benedikt, und ließ den selbstgefälligen Stadtarzt ohne ein weiteres Wort stehen.
     
    Behaimer blickte dem jungen Grathwohl hinterher. Was für ein seltsamer Bursche. Begleitete seinen Vater freiwillig in die Häuser

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