Der Pestengel von Freiburg
und seinen jüngsten Sohn los und verbiss sich in die Wade des Alten. Clara warf Daniel eines ihrer Messer zu.
«Lasst uns gehen!», kreischte jetzt der Jüngste mit hoher Stimme. «Beim heiligen Christophorus: Lasst uns gehen!»
«Erst, wenn ich euch der Reihe nach die Eier abgeschnitten habe, ihr Hurensöhne», zischte Daniel und hob seine Hand mit dem Messer.
«Nein!»
«Lass gut sein, Daniel.» Clara packte den heulenden Kerl am Haarschopf. Seine Beinlinge waren an der Innenseite der Schenkel dunkel gefärbt. «Der hier hat sich schon in die Hosen gepisst.»
Als Nächstes zog sie Cerberus von seinem Opfer weg. Das dunkle Fell am Hinterbein glänzte von Blut.
«Genug, Cerberus. Das hast du brav gemacht.»
Sie funkelte den Bauern an.
«Lasst euch nie wieder hier blicken. Sonst bringen wir euch um.»
Nur mühsam kam der Mann wieder auf die Beine. Seine linke Wade blutete stark. Voller Entsetzen flackerte sein Blick zwischen seinen drei Söhnen hin und her: Sein Ältester war eben wieder zu sich gekommen und krümmte sich jetzt stöhnend im Staub vor der Hüttentür, der Jüngste stand heulend und mit schlotternden Beinen vor ihm, und dem Dritten rann Blut aus der Nase, während sein rechtes Auge veilchenfarben zuschwoll.
«Ihr seid mit dem Leibhaftigen im Bunde», flüsterte der Bauer schließlich und bekreuzigte sich.
«Ganz recht», bestätigte Daniel. «Erzähl das ruhig weiter in eurem Dorf oder wo auch immer eure Drecksfüße euch hintragen.»
Kein Ave Maria später humpelten die vier Männer von der Lichtung. Daniel blickte ihnen nach.
«Die sind wir auf immer los. Und zwei neue Messer haben wir obendrein.»
Clara hatte Mühe, gegen die Tränen anzukämpfen. Das alles war zu viel gewesen. Daniel legte ihr den Arm um die Schultern.
«Du bist die tapferste Frau, die ich kenne!»
Dann holte er die Kinder aus der Hütte. Währenddessen besah sich Clara Cerberus’ Stichwunde, die sich als glatt und nicht sehr tief erwies. Sie würde von selbst wieder heilen. Erleichtert setzte sie sich zu den anderen ans Feuer.
«Hört her», rief Daniel in die Runde. Die Kinder, allen voran Eli, wirkten verstört. «Wir haben die Schlacht gewonnen, und jeder hat dazu beigetragen. Ihr seid Helden, alle miteinander. Vor allem du, Johanna, mit deiner Klugheit – einfach die Tür aufstoßen und dem Kerl eins überbraten. Wie hast du das geschafft?»
Johanna errötete vor Verlegenheit. «Ich hab durch eine Ritze alles beobachtet.»
«Und du, Eli», Daniel stand auf und setzte sich neben den schmächtigen Jungen ins Gras, «bist auch ein großer Held. Du hast nämlich alles richtig gemacht.»
Er drückte den Jungen an sich, bis endlich ein Lächeln auf dessen blassem Gesicht erschien.
«Wisst ihr überhaupt, wie stolz ihr alle auf euch sein könnt? Ich finde, das sollten wir feiern. Was ist, Clara, haben wir nicht noch einen Rest Rauchfleisch und süßen Würzwein?»
Nach und nach löste sich die Anspannung. Die Kinder übertrumpften sich gegenseitig mit ihren abenteuerlichen Schilderungen dessen, was geschehen war, und auch Clara spürte, wie der Wein ihr die schweren Gedanken nahm.
«Ich bin dir so dankbar, Daniel. Ohne dich wären wir den Männern ausgeliefert gewesen.»
«Sag das nicht, Clara. Ich glaube, du könntest eine ganze Rotte Wegelagerer in die Flucht schlagen. Nicht mal meine Armbrust haben wir dazu …»
Er unterbrach sich und lauschte. Von Osten her hörte man dumpfes Grollen. Auch Clara hatte es vernommen. Mit einem Mal war all ihre Leichtigkeit verflogen. Donner im Osten bedeutet Übles, verwies er doch auf zahlreiche Tote in Bälde.
Sie schloss die Augen. Wann endlich würde diese schlimme Zeit ein Ende finden? Sie wünschte sich nur noch eines: wieder mit ihrem Mann vereint zu sein.
Kapitel 25
B is zum Hochsommer hatte die Stadt schon über dreißig Seuchenopfer zu beklagen, darunter auch Gottfried Tucher und den alten Klingenschleifer Marx mitsamt seiner Frau. Dann war die schwülwarme Witterung nach einem plötzlichen Unwetter ins Nasskalte umgeschwenkt, mit böigen Winden aus dem Norden, und das Große Sterben schien innehalten zu wollen. Zumindest einige Tage lang kam es zu keinen neuen Erkrankungen.
«Jetzt sieht sich unser guter Behaimer gewiss bestätigt mit seiner Südwind-Theorie», knurrte Heinrich Grathwohl, obwohl er insgeheim froh war, dass es zurzeit keine neuen Schreckensnachrichten gab. Er und Benedikt saßen beim Nachtmahl, während der Wind von draußen an den
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