Der Pestengel von Freiburg
Pestilenz erkrankt war. Sie hätte sich so gewünscht, ihrer Freundin mit Kraft und Zuversicht beistehen zu können. Nun blieb ihr nichts anderes, als auch sie in ihre Gebete mit einzuschließen.
Wider Erwarten war der Freiburger Gesindehaufe drei Tage später weitergezogen, ohne sie zu behelligen. Dafür tauchten an diesem Morgen drei Männer auf ihrer Lichtung auf.
Es war wieder einer dieser schwülheißen Hochsommertage, die einem bei jeder Anstrengung den Schweiß aus den Poren trieben. Daniel war kurz zuvor von der Ottilienkapelle zurückgekehrt, hatte sich am Bach erfrischt und berichtete ihnen gerade, was er an der Quelle beobachtet hatte.
«Sie haben ihre Zelte abgebrochen. Es sieht aus wie auf dem Schlachtfeld. Die Weiber haben wohl die Kapelle alsSchlafstube und Küche genutzt – alles dort ist rußgeschwärzt und …»
Plötzlich wurde er von Cerberus’ wütendem Gebell unterbrochen. Seit Benedikts Freund bei ihnen war, durfte der Hund frei herumstromern, denn er blieb ohnehin immer in Daniels Nähe. Und ging doch einmal die Jagdlust mit ihm durch, brachte er ihnen, sofern er erfolgreich war, die Beute sogar vor die Hütte.
Jetzt war er an den Rand der Lichtung geprescht und schien, mit gefletschten Zähnen, das Nackenhaar gesträubt, jemandem den Weg zu versperren.
«Hallo? Ist da wer?», rief es von unten herauf.
Daniel packte seine Armbrust und stellte sich abschussbereit mitten auf die Lichtung, während Clara die Kinder zusammenrief. Nur Eli war wieder einmal nicht zu finden. Ab und an überfiel den Jungen die Schwermut, und dann versteckte er sich irgendwo im Unterholz.
«Wer seid ihr, und was wollt ihr?», hörte sie unterdessen den alten Gesellen in drohendem Unterton fragen.
«Rechtschaffene Bauern aus dem Dorf Ebnot. Wir haben nichts Böses im Sinn. Jetzt pfeift schon euren Köter zurück.»
Daniel nickte Clara zu. Sie holte den Strick und band ihn dem Hund um den Hals. Über der Böschung tauchte ein rotblonder Haarschopf auf, der zu einem kräftigen älteren Bauern gehörte. Clara trat mit dem Hund an ihrer Seite ein paar Schritte zurück. Cerberus knurrte noch immer vor sich hin.
«Was wollt ihr also?», fragte Daniel erneut.
«Mit euch reden. Wir sind in Not.»
«Kommt herauf.»
Hinter dem Bauern erschienen zwei junge Burschen – der eine etwa in Benedikts Alter, der andere in Johannas. Sie folgtenihm gesenkten Kopfes, während der Rotblonde mit offenen Armen auf Daniel zuschritt.
«Das hier sind meine Söhne», erklärte der Bauer. Er wischte sich mit dem Hemdsärmel den Schweiß von Nacken und Stirn. «Frau und zwei kleine Töchter hab ich auch noch, sie warten unten im Tal. Ihr müsst uns helfen.»
Daniel ließ die Armbrust sinken. «Warum sollten wir Fremdlingen helfen?»
«Weil ihr Christenmenschen seid. Bei uns im Dorf hat sich rumgesprochen, dass ihr vor der Seuche aus Freiburg geflohen seid und hier oben in der alten Baderhütte lebt. Jetzt hat’s uns in Ebnot auch erwischt. Zwölf sind schon tot, und gestern nun war unsre eigene Magd dran.»
Erschrocken wich Clara zurück. «Dann bleibt uns bloß vom Leibe und verschwindet wieder. Die alte Baderhütte, wie du es nennst, ist unser Eigen.»
Der Bauer schüttelte den Kopf. «Wir brauchen einen Unterschlupf grad so wie ihr.»
Schaufend ließ er sich auf die grobe Holzbank sinken, die Michel mit Daniels Hilfe zusammengezimmert hatte.
Clara dämmerte, worauf der Mann hinauswollte. «Ja, und? Soll das unsre Sorge sein?», entgegnete sie giftiger als beabsichtigt. Dann lenkte sie ein. «Nehmt halt den Weg nach Sankt Peter zu. Dort oben gibt es Waldarbeiterhütten. Vielleicht findet sich da ja was für euch.»
«Das ist zu weit weg. Wir können unsern Hof nicht gänzlich im Stich lassen. – Hör zu, gute Frau.» Er lächelte, während er seine Geldkatze in der Hand wog. Doch das Lächeln wirkte falsch. «Euer Schaden soll’s nicht sein. Ihr lasst uns bei euch wohnen, und wir begleichen das mit gutem Freiburger Silber.»
«Hast du nicht verstanden?», übernahm Daniel wieder das Wort. «Ihr sollt verschwinden.»
Der Bauer erhob sich langsam, sein Blick wurde finster. «Wie ihr wollt.»
Dann ging alles rasend schnell. Der ältere Sohn sprang Daniel wie eine Wildkatze an den Hals, wobei die Armbrust in hohem Bogen ins Gebüsch flog, der jüngere riss Clara den Hundestrick aus der Hand, während der Altbauer ihr die Arme auf den Rücken drehte und sie zu Boden stieß. Doch sie hatten den Kampfgeist des Hundes
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